Sonntag, 31. Mai 2009

Roman - Miniauszug II


Wenig später steht Brigitte auf einem überdachten Bahnsteigabschnitt und sieht ein Stück weiter links den milchigtrüben Himmel. Es soll bislang der wärmste Januar seit Beginn der Wetteraufzeichnungen sein, hat sie vorhin im Radio gehört, während Dennis ihr von dem Roller erzählt hat, den er unbedingt haben muss. Dieser Himmel dort links. Dieses grelle Milchkleid, durchzogen von Drähten. Ein Ausschnitt der Stadt, repräsentativ, denkt Brigitte, so ist das. Weiter hinten eine Brücke, einige Hochhäuser, dann verliert sich die Spur. Um Brigitte drängen sich mehr und mehr Menschen, die S-Bahn hat Verspätung, mal wieder. Warum habe ich nicht das Auto genommen. Ein Mann stellt sich links neben sie, verdeckt den größten Teil des Himmelausschnitts. Der Mann riecht nach Zigaretten und Erkältung. Der wärmste Januar seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.
Die S-Bahn fährt ein, Brigitte kommt fast nicht mit, dann geht es doch, eingeklemmt zwischen noch mehr Leuten mit Zigaretten- und Erkältungsgeruch, auch Kaffee ist dabei und Schlaf. Der Schlafgeruch ist der schlimmste, er kommt von denen, die heute noch keine Zähne geputzt haben und ist eine Mischung aus Erkältung und Tod.

- aus einem aktuellen Romanprojekt -

Freitag, 22. Mai 2009

Himmelfahrt im Taxi


Die Hamburger Straßen waren in der Nacht des Vatertags erstaunlich leer. Wobei, so erstaunlich ist es wohl nicht; die Väter und Väter in spe lagen wahrscheinlich betrunken unter den Tischen der zahlreichen Lokalitäten, da bleibt natürlich nicht viel über an Menschlein, die den Straßenverkehr unsicher machen könnten.
Und ich hatte in dieser Nacht meine erste weibliche Taxifahrerin. Die hat eine Menge erzählt, und natürlich: Die Krise ist hier ja noch gar nicht angekommen. Welche Krise? Ach so. (Man sehe es mir nach, ich bin Bundesbeamtin - ich erst Krise, wenn Staat pleite.)
Ja, die Leute fahren noch Taxi und die Beamten sind noch nicht betriebsbedingt gekündigt. Und obwohl ich gute fünf Stunden später schon wieder aufstehen und arbeiten musste (bei ihr war’s wohl umgekehrt), war ich ganz erfreut über meine erste Taxifahrerin, die gar nicht wie eine Taxifahrerin aussah. Eher wie die Verkäuferin im Biomarkt.
Das vegetarische Restaurant, das sie mir empfohlen hat, sollte ich vielleicht mal ausprobieren.

Freitag, 15. Mai 2009

In eigener Sache


Tja, da heißt dieser Blog nun "wechselnde wohnsitze". So heißt auch ein Gedicht von mir. Und für selbiges kann man derzeit abstimmen beim Hildesheimer Lyrikwettbewerb 2009. Auf http://www.forum-literatur.de/seiten/wett_voting_liste.php ist "wechselnde wohnsitze" in einer (zugegeben enorm großen) Vorauswahl von Gedichten enthalten. Die Gedichte mit den meisten Stimmen werden dann später auf Plakaten im öffentlichen Nahverkehr der Stadt und Region Hildesheim veröffentlicht.

Falls jemand nun gerade für mein Gedicht abstimmen möchte, findet er es hier. Zur Vermeidung von Mehrfachabstimmungen muss man sich vor der Stimmabgabe mit einer E-Mail-Adresse registrieren.

Freitag, 8. Mai 2009

Visuelles von Fritz Huber


Eine schöne Sache ist der gerade frisch im Arovell Verlag erschienene visuelle Lyrikband von Fritz Huber. "Ein Affe im Schlaraffenlande" nennt er sich und ist untertitelt mit "erzählbilder & miniaturen".

Unter anderem gibt es darin ein ganzes Kapitel mit Berührungen, die zu konkreten Formen werden:


          die
         allee
       erlaubt
      be    rüh
    run      gen
   nur in ferner
  un           end
 lich           keit


Und auch sonst wird viel gespielt: mit dem richtigen Platz für Buchstaben und Wörter, mit der Mehrfachnutzung von Wortteilen, mit Sprachumgehung und einigem mehr.

An vielen Stellen des Buches muss man schmunzeln, ganz wie es dem Affen im Schlaraffenlande gebührt:


  |        /WURZE
  |      /     LBEH
  |    /         AND
  |  /           LUN
  |/                G


Dargestellt werden aber nicht nur Zahlenfriedhöfe, Knopflöcher und Reißverschlüsse, sondern auch weniger Gegenständliches, das man länger auf sich wirken lassen muss, weil es mehr Raum für eigene Interpretationen bietet.

Mein persönliches Lieblingskapitel ist allerdings eines der (im Vergleich) weniger visuellen, die "doppelgedichte" - weil ich Fritz Hubers Lyrik als solche schätze und die Bilder im Kopf mir dabei die liebsten sind:


auf gedeih


meine kassiber
mit geschlossenen
fallschirmen
über unbekannten
abwerfen


& verderb


um sprungtüchern
verschränkter arme
in die hände zu fallen
die mich entschlüsseln


Fritz Huber selbst sagt zu dem Buch, er habe sich in Schreibseminaren und Wettbewerben mit Gebieten der Poesie beschäftigt, die vernachlässigt würden. Aufgrund dieser Anlässe sei ein Grundstock an Arbeiten entstanden, der weiter ausgebaut wurde. So entstanden die "erzählbilder & miniaturen".

Bezüglich einiger Kapitel spricht er bespielsweise von "Synergie" oder vom "sparsamen Umgang mit Ressourcen".

Synergieeffekte in der Lyrik durch visuelle Darstellungen sind natürlich nichts Neues, aber sie werden dennoch nicht allzu häufig genutzt. Vielleicht, weil es so viele unflexible Liebhaber des reinen Wortes gibt wie mich? Oder weil es einfach schwierig ist, Wort und Optik dergestalt zu vereinigen und der Affe im Schlaraffenlande damit ganz schön viel zu tun hat? Trotzdem können solche Synergieeffekte, wenn man sie zu nutzen weiß, immer wieder neue Türen öffnen. Das wird auch an vielen Stellen dieses Buches offensichtlich.

Der "sparsame Umgang mit Ressourcen" ist natürlich auch sehr reizvoll. Mit etwas sparsam umzugehen, von dem es endlos viel gibt, erscheint ja zunächst reichlich überflüssig. Warum eine Lücke in einem Wort lassen, indem man Silben oder Wortteile eines anderen Wortes auch für das zweite Wort mitbenutzt, in dem sie benötigt werden? Warum diese Sparsamkeit, wo man die Wortteile doch problemlos mehrmals aufs Papier bemühen könnte? Vielleicht heißt die Antwort: um aufmerksamer zu werden. Um etwas an einem Wort wiederzuentdecken, was man zum letzten Mal in der Grundschule bestaunt hat: der AFFE im SCHLAR AFFE NLANDE. Das Staunen wieder erlernen. Das Offensichtliche wieder sehen lernen.

Ich meine, dass man für dieses Buch mehr Fantasie braucht als für einen "normalen" Lyrikband. Wer viel Fantasie hat und sich ihr gerne hingibt, dem kann ich den neuen Band von Fritz Huber nur ans Herz legen.


Ein Affe im Schlaraffenlande. erzählbilder & miniaturen
Arovell Verlag, Gosau (Österreich), Mai 2009
ca. 145 S., ISBN 978-3-902547-74-3, Preis 12,90 Euro

© für die obigen Textauszüge: Arovell Verlag