Mittwoch, 29. April 2009

archivbild I


die räume stehen lautlos
wachsen tische in den boden
im teppichmeer versenken
schränke ihre hufe drüben
auf dem fenstersims die scharf
zackige innerei einer druse
im karton was man braucht
und was vielleicht gescheitelt
die köpfe der nelken laien
darsteller vor der premiere


© Horlemann Verlag, 2013

Freitag, 24. April 2009

Ungläubige zwischen Bibelsprüchen


Gerade habe ich die Belegexemplare des Verteilheftes "Für jeden neuen Tag" Nr. 38 aus meinem Briefkasten gefischt. Das ist eine von der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste herausgegebene Heftreihe mit Gedanken, Gedichten und Gebeten, die kostenlos an Urlauber und Kurgäste, aber auch in Krankenhäusern und Gefängnissen verteilt wird. Die Anfrage wegen der Abdruckgenehmigung für ein Gedicht aus meinem Lyrikband hatte mich sehr gefreut. Ist mal was anderes als die ewigen Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften, bei denen man sich zwangsläufig irgendwann fragt: Und wozu, wofür, warum...? Tja, das frage ich mich jedenfalls in letzter Zeit immer öfter.
Einsortiert wurde mein Gedicht übrigens unter den Zwischentitel "Gleichberechtigung". Dort steht auch Thomas Kling, ein Zitat aus dem 1. Buch Mose sowie Artikel 1 der Menschenrechtserklärung der UN.
Fazit: Eine Heftreihe, die vielleicht sinnvoller ist als manch andere. Und: Inmitten so vieler kluger Worte fühlt man sich ziemlich klein. Allerdings auch erstaunlich wohl - selbst als Ungläubige zwischen jeder Menge Bibelsprüchen.

Mittwoch, 22. April 2009

Das zweite Problem-Alter


In Apotheken gibt es für jedes Alter das richtige Pröbchen. Zuerst die einzeln verpackten Traubenzucker, denn Kinder mögen Traubenzucker. Als Jugendlichem gestehen einem die Apotheker dann keine Lust auf Traubenzucker mehr zu (die zweiten Zähne müssen länger halten als die ersten), statt dessen geht der Fokus auf die jugendliche Problemhaut. Hat man dieses Problem-Alter ein paar Jahre später hinter sich gebracht, werden die Pröbchen unspezifischer. Ab jetzt erhält man relativ wahllos relativ Zweckmäßiges wie beispielsweise Tempos (braucht jeder mal), Kugelschreiber (braucht auch jeder mal und lässt sich gut Werbung mit machen) oder Handcreme-Pröbchen für die kalten Wintertage. Lange geht das so, bis man es gar nicht mehr anders kennt.

[Männer können an dieser Stelle mit dem Weiterlesen aufhören, denn für sie geht es ewig mit Tempos und Handcreme weiter.]

Umso härter trifft es dann aber eines Tages die Frauen, wenn sich im großzügigen Vichy-Entdeckungs-Set neben Pröbchen von Körperlotion, Gesichtsreinigung für jeden Hauttyp und Creme-Make-Up mit Samt-Effekt ganz heimlich, still und leise auch ein Tübchen auffindet, bei dem das Kleingedruckte den Atem stocken lässt: Anti-Falten & Straffheits-Pflege. Nun ist es also soweit. Man hat den Zenit überschritten, erstmalig hat ein Fremder (die Apothekerin) die Spuren der Zeit gesichtet und einen ganz offiziell in das zweite Problem-Alter eingewiesen, das man nie wieder verlassen wird. So geschehen heute bei Frau K. aus HH, die allerdings freimütig zugibt, dass sie eh schon seit Jahren eine Q10-Straffungscreme für die Augenpartie verwendet. Frau K. aus HH lacht nämlich gern. Traubenzucker mag sie übrigens auch heute noch.

Sonntag, 19. April 2009

Roman - Miniauszug I


Auf dem Heimweg steuert Wolfgang schweigend den Wagen. Anke sieht gelegentlich zu ihm hinüber, um ihn aus der Reserve zu locken. Aber Wolfgang lässt sich nicht locken. Ich weiß nicht mal, wieso ich nichts sage, stellt er fest und versucht sich an einem Lächeln in Richtung seiner Frau, weil er glaubt, ihr zumindest das schuldig zu sein. Der Innenraum des Autos ist zunächst noch ebenso kalt wie anfangs die Hütte, aber wie diese wird auch das Autoinnere allmählich wärmer, mit jeder Straßenecke nistet sich die trockene Heizungsluft mehr und mehr ein. Wolfgang fühlt sich schon wieder schläfrig.
"Sssssss", macht Anke.
Das Geräusch entsteht, wenn sie die Luft durch geschlossene Zahnreihen in den Mund zieht. Sie macht immer Sssssss, wenn Wolfgang beim Autofahren in eine Situation gerät, die sie als kritisch einstuft. Wolfgang macht dieses Sssssss wahnsinnig, weil er nie weiß, was eigentlich los ist. Hinterher stellt sich meist heraus, dass es eine Situation war, die nur seine Frau als einigermaßen gefährlich eingeschätzt hat (Paradebeispiel: ein nach Ankes Dafürhalten zu nahes Vorbeifahren an einem anderen Auto), und wenn die Situation tatsächlich einmal etwas objektiv Gefährliches gehabt haben sollte, dann hätte ihm ihr Sssssss auch nichts genützt (was soll so ein Sssssss denn bitteschön helfen, wenn man zum Beispiel ungebremst auf einen Radfahrer zusteuert, ein Pass auf, der Radfahrer! oder etwas ähnliches wäre da doch wesentlich konstruktiver).
Dieses Mal folgt dem Sssssss jedoch, ganz untypisch, noch etwas anderes.
"Pass auf!", ruft Anke, brüllt es beinahe.
"Was denn?", schreit Wolfgang erschrocken zurück. Hat er einen auf die Fahrbahn zurollenden Kinderwagen übersehen? Ist er geblitzt worden? Sie könnte doch wenigstens sagen, was... Weil ihm Ankes Reaktion zu lange dauert, entscheidet er sich in Sekundenbruchteilen für eine Vollbremsung. Hinter ihm kommt ein weiterer Wagen quietschend zum Stehen.

- aus einem aktuellen Romanprojekt -

Freitag, 17. April 2009

Gedicht von Bess Dreyer


Heute bin ich über ein Gedicht von Bess Dreyer gestolpert und weich gelandet.

Wem dieses Gedicht gefällt, dem kann ich auch ihren Lyrikband "parallele orte" empfehlen, der 2007 im Auslesen-Verlag erschienen ist. Hier meine Rezension zum Buch.

Donnerstag, 16. April 2009

vorhin


in der luft nur dieser lärm noch immer
ohne begleitgeräusch wie ein stempelkissen
mit zu viel oder zu wenig farbe der abdruck
deiner fingerkuppen unter werbetafeln
an geländern moccatassen fremder haut

Dienstag, 14. April 2009

Anfang einer neuen Story


Das ist ein Spiel, sagt der Junge. Er stößt mit dem Schuh in die staubige Erde, die Erde ist gelb. Ich habe gewettet, fährt er fort, deine Schwester ist die letzte Schlampe, treibt es fürn Fuffi mit jedem. Er sagt wirklich: fürn Fuffi.
Ich habe geträumt: ihn umbringen. Zuerst wollte ich eine To-do-Liste schreiben, erstens Brot kaufen, zweitens Zahnarzt anrufen, drittens Den Feind töten. So oder so ähnlich. Dann erschien es mir doch zu melodramatisch. Ich will nicht sein wie mein Vater, reden und am Ende nichts tun. Ich übe jeden Tag im Wald mit leeren Coladosen.
[...]

Samstag, 11. April 2009

Warten auf Gelb


Haben wir noch nicht. Der Satz bezieht sich derzeit gern auf Gelbes. Genauer: Auf die neue Bionade Quitte. Erinnert manche vielleicht an die Quittenmarmelade von Oma. Bei mir ist das über zwanzig Jahre her. Ich mochte sie nie, die Quittenmarmelade. Weil sie so viele Fäden zog, gelbe Obstfasern in gelbem Glibber, und mit dem Geschmack war es auch nicht weit her. Aber die Farbe zumindest war schön. So wie die Farbe der neuen Bionade - jedenfalls auf den Werbeplakaten. Da wird man ganz gelb vor Neid auf jeden, der sie schon hatte. Ich hatte sie noch nicht. Haben wir noch nicht. Nicht im Kulturhaus Eppendorf und nicht im großen Supermarkt. Laut www.bionade-quitte.de steht sie seit dem 2. März zur Lieferung an Handel und Gastronomie bereit.
Die Quittenbionade hat übrigens die Melitta Up & Awake -Kaffeepads abgelöst. Die hatte man auch lange nicht. Inzwischen gibt es sie überall. Nur, geschmeckt haben sie mir nicht. Am Ende kehre ich doch immer reumütig zu Aldi zurück. Da ist bei den Getränken nur der O-Saft gelb, und auch sonst weiß man, was man kriegt.

Notiz zum Karsamstag


ein rätsel: dieser typ, linkshänder
oder fluchtfahrzeugfahrer. heute
noch brot kaufen, den geruch
der haare des gegenübers
vergessen.