Montag, 29. November 2010

Nach dem Amok


Entgegen der ursprünglichen Planung wird mein Jugendroman nun bereits im April 2011 erscheinen.

Und vorbestellen bei Amazon geht auch schon.



Jahrbuch / Jahreslesung des Forums Hamburger Autoren


Das Forum Hamburger Autoren legt auch zur diesjährigen Jahreslesung wieder ein Jahrbuch vor. "Neuerdings weiß ich viel mehr" erscheint, wie schon das letzte Jahrbuch, im Textem-Verlag. Obwohl ich bei der Titelfindung nicht dabei war, da ich in den letzten Monaten so gut wie jedes Forumstreffen geschwänzt habe, hätte ich mir keinen besseren Titel wünschen können. Jeder bisherige Tag im Jahr 2010 hat sich für mich angefühlt wie dieser Titel. Manchmal hat das Älterwerden tatsächlich etwas für sich - auch wenn es den Rückblick mitunter schmerzhaft macht, lässt es hoffen für Gegenwart und Zukunft.

Die Jahreslesung des Forums findet am nächsten Freitag, den 3. Dezember (20 Uhr) im Kulturhaus Eppendorf statt. Ob ich lesenderweise mit von der Partie sein werde, steht noch nicht fest, das entscheide ich dieses Mal ganz spontan, da ich in diesen Tagen anderweitig noch einen dringenden Schreib-Endspurt hinlegen muss.



Neuerdings weiß ich viel mehr
Forum Hamburger Autoren: 21. Jahrbuch

135 Seiten, 7,- Euro,
ISBN 978-3-941613-38-6,
Textem Verlag 2010


Dienstag, 9. November 2010

Lesung in Prag


Heute ein Lesungshinweis für alle, die Ende des Monats zufällig in Prag weilen. ;-)

Am 27. November lese ich im Goethe-Institut Prag. Spannend ist die Sache deshalb, weil es sich um "4-Augen-Lesungen" handelt. Jeweils ein deutscher und ein tschechischer Autor befinden sich zusammen in einem Raum (in diesem Fall die schnuckelige Kellersauna), in den dann immer nur eine einzelne Person vorgelassen wird. Diese kann wählen, ob sie ein deutsches oder ein tschechisches Gedicht vorgetragen bekommen möchte. Und während des Vortrags beäugen sich dann 4 Augen. Hmmm... Was die pausierenden Augen Nr. 5 und 6 wohl währenddessen tun? Vielleicht bleiben sie solange ja doch eher draußen vor der Saunatür. Ich lasse mich überraschen.

Die weiteren deutschen Teilnehmer an den 4-Augen-Lesungen sind Ann Cotten und Bert Papenfuß.

Nachtrag: Das komplette Programm ist mittlerweile hier zu finden.

Montag, 1. November 2010

Die Gemüter der Busfahrer


So verschiedenartig die Hamburger Stadtteile sind, so unterschiedlich gestrickt sind auch die jeweiligen Chauffeure des nicht schienengebundenen Nahverkehrs. Wenn der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) gerade mal wieder Neueinstellungen von Busfahrern plant, flackern über die Bildschirme in den Bahnen und den U/S-Bahn-Stationen immer die Einstellungsvoraussetzungen: Unter anderem sollte der Hamburger Busfahrer demnach "Freude am Umgang mit unseren Fahrgästen" haben.

Die Altonaer Busfahrer scheinen diese Voraussetzung in aller Regel zu erfüllen. Im diesjährigen Sommer nahm ich an einem späten Samstagabend am Bahnhof Altona von meiner männlichen Begleitung noch im Bus Abschied, weil sich unsere Heimwege dort trennten. Ich selbst verblieb im Bus, um die Weiterfahrt in Richtung Wandsbek anzutreten. Nach dem Aussteigen meiner Begleitung drehte sich mein Busfahrer zu mir um und fragte halbwegs fassungslos: "Lässt du ihn allein nach Hause gehen?" "Ja", antwortete ich, "ich wohne in Wandsbek". "Kannst doch trotzdem mit ihm gehen!", entkräftete mein Busfahrer dieses schlagende Argument. Er fuhr mich dann ein bisschen enttäuscht nach Wandsbek Markt, wo seine Fahrt endete und ich in den nächsten Bus umstieg. Weiter als bis Wandsbek Markt würde sich kein Altonaer Busfahrer trauen. Denn hinterm Wandsbeker Markt liegt die humorfreie Zone.

Der 9er Bus, der von dort in ebendiese Zone startet, beherbergt Busfahrer, die scheinbar nicht die spezielle eingangs genannte Einstellungsvoraussetzung erfüllen, denn von Freude am Umgang mit den Fahrgästen ist da nichts zu spüren. Und schon gar nicht bekommt man von ihnen den gutgemeinten Rat zu einem samstagabendlichen Schäferstündchen. Der Wandsbeker Busfahrer am Samstagabend ist stumm, kontrolliert entweder übergenau oder aber mit desinteressiertem Seitenblick die Fahrkarten und fährt drei Sekunden zu spät kommenden potentiellen Fahrgästen vor der Nase weg. Anfangs dachte ich noch, dieses Verhalten sei einer gewissen Stoffeligkeit geschuldet. Doch dann fiel mir etwas auf. Wer als Fahrgast die Strecke ab Wandsbek Markt in Richtung Rahlstedt mitfährt, an einem späten Samstagabend, der kann eigentlich nur eines wollen: nach Hause. Etwas anderes gibt es da nämlich nicht. Und "nach Hause" geht, sitzt man erst mal im 9er Bus, nur in eine Richtung. Deshalb trennen sich die Wege von miteinander bekannten Heimfahrenden hier nur selten. Wer sich kennt, steigt zusammen ein und zusammen aus. Somit erübrigt sich für den Busfahrer jegliche Einmischung in die weitere Abendgestaltung, denn die 9er-Reisenden lassen niemanden ziehen - sie haben jemanden oder nicht. Was im Ergebnis bedeutet: Wandsbeker Busfahrer haben nicht etwa weniger Freude am Kontakt mit ihren Fahrgästen als Altonaer Busfahrer, sondern sie wissen eben ganz genau, dass sie keine Worte machen müssen, weil sie ihre Schäfchen auf jeden Fall in der vorgesehenen Sortierung ins Trockene bringen. Und wenn sie jemandem vor der Nase wegfahren, dann tun sie das auch nur, um demjenigen die Möglichkeit zu geben, bis zum nächsten Bus noch die passende Begleitung zu finden. Wandsbeker Busfahrer wissen, dass sie in einer Tour viel Gutes tun können. Dafür fährt man doch gern mal die Spätschicht am Samstagabend.

Inzwischen haben wir Herbst, ich wohne immer noch in Wandsbek und meine damalige Samstagabendbegleitung begleitet nun häufiger meine Samstagabende. Den fürsorglichen Altonaer Busfahrer habe ich nicht wiedergesehen. Vielleicht ist er nach Pinneberg oder Harburg versetzt worden. Brauchen könnte man ihn dort sicher zur Steigerung der Geburtenzahlen. Also, indirekt, weil er ja so gerne den Kuppler spielt.

Und kürzlich hat doch tatsächlich bei Tagesanbruch ein Wandsbeker Busfahrer meinen morgendlichen Gruß erwidert. Nicht mit einem gequälten Nicken oder einem genuschelten Was-auch-immer, sondern mit einem deutlichen "Moin!". Es geschehen noch Zeichen und Wunder.

Mittwoch, 27. Oktober 2010

"Schräge Chansons 2"


Bald ist es soweit. Am 15. November findet die Uraufführung der Schrägen Chansons 2 im OFF-Theater in Wien statt. Die KomponistInnen von Ambitus - Gruppe für neue Musik haben Texte von H.C. Artmann, Andrea Heuser, Myriam Keil, Renate Schön, Gabriele Trinckler und Siegfried Voellger vertont.

Am 16. November gibt es ein weitertes Konzert mit den Schrägen Chansons 2 (Haus Gnad, Goldmarkplatz 8, ebenfalls in Wien). Dies wird übrigens das 100. Ambitus-Konzert sein. Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum!

Montag, 4. Oktober 2010

werbepausendichten IV


die haut liegt anders überm körper ein gewicht
verloren im dritten quartal das rechnet sich
mit den monaten während das warten weitergeht
auf diesem weg kann man es längst in gramm
beschreiben wie die verkäuferin an der fleischtheke
darf's auch etwas weniger sein heute im angebot
schon wieder nur die flechsigen randstücke
mit zu viel knochen dabei möchte man doch etwas
zartes schmecken das sich nicht mehr wehrt


© Horlemann Verlag, 2013

Samstag, 2. Oktober 2010

Toni Jordan // Tausend kleine Schritte


Grace zählt. Schritte, Bissen, Zahnbürstenstriche. Und alles muss die 10 beinhalten. Im Supermarkt 100 Bohnen einzeln in die Tüte zu zählen, ist umständlich und zeitraubend. 10 Pakete Waschpulver nach Hause zu schleppen, ist Schwerstarbeit. Doch auf diese Weise "vermisst" Grace ihre Welt, so ordnet und kontrolliert sie ihr Leben. Ihrer Arbeit als Lehrerin kann sie mit diesem Zwang inzwischen nicht mehr nachgehen, und so etwas wie ein Sozial- oder gar Liebesleben hat sie schon lange nicht mehr. Erst als sie Seamus trifft, dem sie im Supermarkt eine Banane aus dem Einkaufskorb klaut (sie hatte versehentlich nur 9 Stück in ihren Wagen gepackt), ändert sich ihr Leben. Für Seamus will Grace das Zählen aufgeben. Doch die Antidepressiva bescheren ihr zwei Gehirne, und das hält keine Beziehung lange aus...

Zu diesem Buch also mal keine klassische Rezension (aber ich bezweifle ohnehin, dass ich je eine klassische Rezension geschrieben habe), sondern ein... Brainstorming!

Jeder Mensch auf der Welt sollte dieses Buch lesen.
Und wie stellen wir das an? Buchtipp twittern? Mach dich nicht lächerlich.
(Buchtipp wurde sodann getwittert, Anm. d. Red.)

Falls Grace twittert, muss sie bestimmt immer 10 Tweets auf einmal absetzen.

Ach, ich wünschte, ich hätte dieses Buch geschrieben.
Hast du aber nicht. Myriam, du wirst niemals eine Schriftstellerin sein. Weil du niemals so ein Buch schreiben würdest. Könntest. Beweise das Gegenteil. Na siehste.

Da kann man auf ein und derselben Seite sowohl lachen als auch weinen.

Ich hatte ja auch mal eine Zählphase. Bei mir war es nicht die 10, sondern die 15. Beziehungsweise ein Satz mit 15 Silben, er stammte aus dem ersten Buch, das ich eigenständig gelesen habe. Da war Pumuckl mit Meister Eder in einem Spiegelkabinett und betrachtete sich in verschiedenen Zerrspiegeln. >>Lie-ber bin ich wie ein Schlauch, als klein und rund mit dik-kem Bauch.<< Das war mein Satz. Er passte genau auf die Treppe im Haus meiner Oma, die vom Erdgeschoss nach oben führte. 15 Stufen. Mit Pumuckl. Jahrelang. Und auch draußen folgten meine Schritte diesem Satz. Zum Glück habe ich keine Bohnen gezählt.

Ich will auch Sex auf dem Küchenfußboden!
Prima. Von Pumuckl zu Sex auf dem Küchenfußboden. Das nenne ich mal einen Gedankensprung.

Schluss jetzt! Das Buch muss man lesen. Nicht drüber reden.


Das war dann wohl eine weitere Rezension, die die Welt nicht braucht. Das Cover ist übrigens auch toll. Obwohl nur Orangen drauf sind. Und jetzt mal Hand aufs Herz: Wer von Euch, die das Buch gelesen haben, hat nicht versucht, die Orangen auf dem Cover zu zählen??!! Na???


Tausend kleine Schritte. Roman (TB)
Piper, München, September 2010
270 S., ISBN 978-3-492-25963-7, Preis 9,95 Euro

Freitag, 1. Oktober 2010

solange wir sind

[...]
der kaffee ist instant und ich bin
nicht geschaffen für das zählen
der muttermale auf deinem körper
von groß nach klein weil ich nicht weiß

bei welcher größe man aufhören sollte
dem bloßen auge zu vertrauen

Donnerstag, 30. September 2010

Back in town!


Bin zurück aus dem Urlaub! Frei im Kopf und bereit für den Feinschliff am Roman. In ein paar Wochen ist Abgabeschluss...



Freitag, 17. September 2010

"Lyrik ist zu vermeiden."


Dieser Satz findet sich auf dem Infozettel für die Autoren einer gewissen Hamburger Literaturveranstaltung. Nein, ich lese da nicht. Das überlasse ich anderen. Aber ich habe gerade entdeckt, dass ich genug Material für einen neuen Lyrikband zusammen hätte.

Etwas ratlos stand ich zunächst vor dem Manuskript, denn auf Verlagssuche habe ich aktuell überhaupt keine Lust. Außerdem, was macht man mit einem Lyrikband, wenn keiner etwas daraus hören will? Schon gut, ich übertreibe natürlich. Zumindest Lyriker hören sich hin und wieder schon ganz gern die Lyrik anderer Dichter an. Aber in Hamburg kann man die Lyriker mit der Lupe suchen. Zusammen mit den übrigen Lyrikinteressierten (die zudem gewillt sind, Eintritt zu zahlen) bilden sie wohl nur schwer ein ausreichendes Publikum für eine Lesung. Zu allem Überfluss wurde mir in den vergangenen Jahren von diversen Seiten zugetragen, dass ich in dieser Stadt ausschließlich als Lyrikerin gehandelt werde. Dass ich auch Prosa schreibe, sogar wesentlich mehr als Lyrik, merken offenbar die wenigsten. Im Gegensatz zu früher entwickle ich aber inzwischen auch keine Eigeninitiative mehr, um das zu ändern.

Fazit: Erst mal Schublade, liebes Lyrik-Manuskript. Aber so schlimm ist das gar nicht. Ich habe nämlich erst kürzlich festgestellt: Fast alles ist wichtiger als Schreiben, und alles ist wichtiger als Veröffentlichen. Und das gilt nicht nur für Lyrik. Btw, in diesem Jahr habe ich keinerlei Texte an Literaturzeitschriften geschickt. Und mir fehlt nichts, im Gegenteil. Alles ist da.

Montag, 13. September 2010

*

[...] und ich möchte

unseren stunden einen raum geben
in dem immer licht ist

wie in einem kühlschrank dieses licht
von dem niemand wirklich glaubt
dass es beim schließen einer tür erlischt

die eine blinde wahrheit schützt

Montag, 6. September 2010

Hörproben auf MySpace


Vor ein paar Wochen bin ich losgezogen, um ein Mikro zu kaufen. Hintergrund der Aktion war mein Vorsatz, endlich mal ein paar Texte einzulesen und online zu stellen. Das habe ich dann auch getan, zumindest zwei Stück. Mehr war bisher aus Zeitgründen leider nicht drin, aber irgendwann sollte ich es schaffen, den Hörproben-Pool noch etwas auszubauen. Im Moment eher nicht, da der Abgabeschluss für den Roman näher rückt und außerdem neuerdings auch öfter mal ein netter Herr meine spärliche Freizeit versüßt, so dass ich das Mikro vorübergehend in den Schrank gepackt habe.

Den ersten beiden aufgenommenen Texten kann man auf meinem MySpace-Account lauschen, den ich kürzlich neu angelegt habe, und auf selbigem freue ich mich auch über neue Buddies. :-)

Montag, 16. August 2010

the way i never lit your cigarette

- für torben -

jeden tag, wenn ich für dich zur raucherin
werden möchte, versperren meine hände
den weg zum mund, deine sehnsucht
spielt auf einem höheren level,

das ich nicht erreichen kann, ohne alles
zu verlieren, woran ich glauben möchte,

ist es zeit oder ist es das, was ich für dich
sein könnte, eines tages oder nie, und hat

schon mal jemand so an dich gedacht: ich will
die zigarette zwischen deinen fingern sein,
die so vertraut geworden ist, dass du
ihr fehlen bis nach innen spürst.


© Horlemann Verlag, 2013

Donnerstag, 12. August 2010

Darf's auch etwas weniger sein?


Woran merkt man, dass man abgenommen hat?

a) Die Hosen werden zu weit.
b) Der Hintern tut bei längerem Sitzen auf harten Stühlen weh.
c) Die Waage zeigt weniger an.

Man merkt es an a), b) und c). Und zwar in genau dieser Reihenfolge, wenn man - wie ich - nicht regelmäßig auf die Waage steigt. Da hat man eine Zeitlang keinen rechten Appetit, und schwupps... sind einem 5 Kilo abhanden gekommen. So kann es gehen.

Moment mal, ich habe d) vergessen: Der Arzt, vor dem man die - zu weiten - Hosen runterlässt, sagt entsetzt: "Haben Sie abgenommen?". Da hilft dann auch kein: "Nö, ich tu nur so."

Ich interveniere jetzt also und esse Blaubeeren mit Sahne. Selbstgeschlagene Sahne, nicht das eklige Spühzeugs aus der Dose. Hat die Collien Fernandes nicht mal gesagt, sie wolle auf Astronautennahrung umsteigen, um zuzunehmen? Lass dir sagen, liebe Collien: Blaubeeren mit Sahne machen bestimmt wesentlich mehr Spaß. Vor allem, wenn noch selbstgebackene Waffeln dabei sind. Ischwör!

Donnerstag, 24. Juni 2010

Vorübergehend geschlossen.


Ich ziehe mich vorübergehend aus dem WWW zurück. Ich habe gemerkt, dass die Löschung meiner FB-Seite und die Privatisierung meiner MySpace-Seite nicht ausreichend war, um meinem Bedürfnis nach Rückzug und persönlichem Freiraum gerecht zu werden. Ich habe derzeit nichts zu sagen und komme erst wieder, wenn sich das ändern sollte. Gilt mit Einschränkungen auch für E-Mails.

Donnerstag, 17. Juni 2010

werbepausendichten III


dann wirfst du das wort in den raum
das ganz allein den staubsaugerbeutel füllt

ich habe angst vor spinnen und wage nicht
ihn zu öffnen diesen mund dieses herzloch

durch das alles hinausströmt

an einen ort den ich nie bewohnen wollte
mitten in deinem kopf mitten auf einem

spielbrett dem die hälfte der figuren fehlt


© Horlemann Verlag, 2013

Montag, 14. Juni 2010

Gefühle eines endlosen Tages


Heute habe ich einen alten Text wiedergefunden. Es war der erste Prosatext, den ich in meinem Leben geschrieben habe. Er wurde in einer Anthologie veröffentlicht, und dann habe ich ihn vergessen. Als ich ihn nun nach etlichen Jahren zum ersten Mal wieder gelesen habe, wurde mir bewusst, dass es noch immer der Text ist, der am meisten ICH ist, dass ich bei keinem späteren Text näher bei mir selbst war.
Ein Satz aus der Geschichte lautet: Manchmal wünsche ich mir, keine Gefühle zu haben und niemals wieder jemanden lieben zu müssen.
Das soll ich damals geschrieben haben?, dachte ich. Das habe ich doch gerade erst begriffen, erst gestern oder letzten Monat, meinetwegen letztes Jahr, aber doch keinesfalls schon damals!
Aber ich wusste es damals schon. Sonst stünde es ja nicht in diesem Word.doc aus dem Jahr 2001. Diese Erkenntnis hat mich sehr erschreckt, denn: Wie kann man das immer wieder vergessen, wo man es doch schon so lange weiß? Wie kann man die gleichen Fehler immer wieder machen, immer wieder lieben, immer wieder Vertrauen haben?

Hier ist der Anfang der Geschichte "Gefühle eines endlosen Tages", die bei mir in eine Endlosschleife getreten ist, in der sie sich auch heute noch ständig wiederholt, nur in Nuancen abgewandelt, in Nebenrollen, Uhrzeigern oder Fahrplänen:

>>Ein schnarrendes Geräusch, als die große Uhr vor dem Bahnhofsgebäude auf 7.14 Uhr springt. Ich stehe auf einer Straße, die keine ist, in einer Welt, die ich nicht mehr lieben kann. Menschen gehen an mir vorüber, sie sind blaß und durchsichtig, ihre Haare sind grau, ihre Gesichter zerknittert, ihre Augen trüb und leblos. Irgendwo hält ein Zug, die Leute steigen ein, weil sie nicht wissen, daß alle Züge immer nur im Kreis fahren. Ich weiß es, doch ich bin es müde geworden, Erklärungen abzugeben. Als ich eines Tages bemerkt habe, daß ich nicht mehr weinen kann, bin ich nicht einmal überrascht gewesen. Ich kannte das von den anderen. So fängt es immer an.
>>Ein Windstoß fegt ein paar der Papiermenschen davon. Es geht mich nichts an, doch es schmerzt mich. Ich sehe ihnen nach, als sie im Nichts verschwinden; es ist, als hätte es sie nie gegeben. Wieso habe ich versäumt, ihnen übers Haar zu streichen, einmal ihre Hand zu halten? Seltsam, jemanden nie gekannt zu haben und ihn so sehr zu vermissen.
>>Die schwere Kirchturmglocke schlägt dreimal. Ist es tatsächlich 7.45 Uhr oder bilde ich es mir nur ein? Kann ich den unzähligen Zifferblättern glauben, auf denen überall der kleine Zeiger kurz vor der Sieben steht? Meine digitale Armbanduhr sagt mir unmißverständlich, daß der Tag erst begonnen hat, obwohl ich so müde bin, wie man es eigentlich nur am späten Abend sein sollte.
>>Um mich herum spielen Kinder, ein blutroter Ball fliegt zischend durch die schwere, vom Nebel getrübte Morgenluft; fast kann ich ihn schreien hören. Ich sollte nach Hause gehen, denke ich, ich fühle mich heute nicht besonders. Aber wo ist mein Zuhause?
>>Die Kinder sind in ihr Spiel vertieft und nehmen mich überhaupt nicht wahr, obwohl ich mitten unter ihnen stehe. Plötzlich fliegt der Ball geradewegs auf mich zu, glitzernd spiegeln sich Fragmente des bleiernen Himmels auf seiner bis zum Zerreißen gespannten Haut. In einem Reflex strecke ich meine Hände nach vorne, um ihn aufzufangen, mir ist, als müsse er in tausend Stücke zerspringen, sollte er auf den gnadenlosen Asphalt der Straße auftreffen. Dutzende kleiner, spitzer Steinchen würden ihn gierig aufspießen, Löcher in ihn hineinbohren, bis er Sprünge bekäme, bis diese Sprünge Fortsätze ausbildeten, über ihn kriechende Spinnentiere, die seine Einheit in Millionen kleinster Bruchstücke zerbersten lassen würden.
>>Aber ich werde ihm dieses Schicksal ersparen, gleich wird er meine rettenden Hände erreichen. Ich greife zu, spüre schon seine feste, kühle Entschlossenheit zwischen meinen Fingern, als meine Hände plötzlich völlig unerwartet in ihm versinken, als ich nichts zu fassen bekomme außer einer brennenden Leere in meinen Handflächen. Hilflos sehe ich seine stolze Gestalt der Erde entgegenstürzen, bis er schließlich jammernd auf den Boden klatscht und beginnt, immer wieder in neue wahnwitzige Formen wechselnd, hinter mir auf den kalten, spitzen Steinen herumzukriechen. Ich starre verständnislos auf meine Hände, die ebenso verständnislos zurückblicken. Was ist geschehen?
>>Eines der Kinder ist inzwischen dem Flug des Balles gefolgt. Es rennt auf mich zu, scheint das Hindernis vor sich gar nicht zu bemerken. Ich will ausweichen, schaffe es jedoch nicht mehr. Mit einem lautlosen Aufschrei fließe ich, ohne irgendeine Art von Widerstand zu bilden, durch den mich durchdringenden Körper hindurch, und würde ich die heißen Tränen nicht spüren, die mir in diesem Moment in die Augen schießen, ich könnte nicht mehr an meine Existenz glauben.
[...]

Beim heutigen Lesen des Textes hatte ich den Eindruck, ich hätte die Geschichte anders beginnen lassen sollen, sie hätte schon an einem früheren Zeitpunkt des Tages einsetzen sollen. Morgens nach dem Aufwachen, wo man einen Augenblick lang glaubt, dass alles nur ein böser Traum gewesen ist. Wo man überzeugt ist, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um jemanden berühren zu können, der so selbstverständlich neben einem liegen sollte, dass es gar nicht anders sein kann.
Denn mit diesem ersten Moment steht und fällt alles. Der ganze endlose Tag.

Sonntag, 13. Juni 2010

8-#


Es gibt Tage, an denen ich die Protagonisten meiner Geschichten bis ins Letzte verstehe. Das sind die Tage, die mir Angst machen, weil es kein Limit mehr gibt und keine Konsequenzen, für nichts.

Samstag, 12. Juni 2010

tinnitus, tag achtzehn


schon stechen die absätze
in den ohren ihren stöckeltakt, erinnern
nur an das geräusch von eh und je,
das märchen von den roten schuhen, tanz,
tanz weiter, bis du deine füße nicht mehr
haben willst. ein fluchtversuch, das sammeln
verirrter kassiber oder auch: mit diesem
ekel füllst du deinen schlaf.

Dienstag, 8. Juni 2010

Sie haben 0 Punkte - Gönnen Sie sich eine Prämie!


Diese Nachricht erhält man, wenn man sein PayPal-Konto nicht nutzt. Ich habe heute also beschlossen, mir meine Prämie zu gönnen. Da PayPal bei genauerem Hinsehen findet, dass man mit 0 Punkten nur 0 Prämie bekommen kann, musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Gar nicht so einfach! Im Leben bekommt man schließlich nichts geschenkt, schon gar nicht von anderen. Es sei denn, man bittet darum.

Ich habe darum gebeten. Als erstes um Pröbchen in der Apotheke, die bekommt man hier nämlich nur, wenn man rotzfrech danach fragt. Weil mich die Pröbchen aber nicht wirklich über den Tag gerettet haben, habe ich um noch mehr gebeten: an der Pommesbude um ein bisschen mehr Ketchup, beim Arzt um einen Termin, der eigentlich gar nicht mehr frei war, die Hundehalterin darum, dass sie ihren Fiffi von meinen hellen Hosen wegnehmen möge, und nicht zuletzt den Prospektausträger, seinen Mist nicht immer in meinen Briefkasten zu stopfen, auf dem doch so hübsche, selbstgebastelte Schildchen kleben, wo "keine Werbung" und "keine Zeitungen" draufsteht.

Auch wenn eine erfolgreiche Wirkung der letztgenannten Bitte sich erst in der Zukunft zeigen könnte, so darf ich alles in allem doch jetzt schon sagen:

Was habe ich mir heute nicht alles gegönnt für meine 0 Punkte. PayPal würde staunen...

Sonntag, 30. Mai 2010

tinnitus, tag fünf


hätte ich dir nicht zu früh
einen namen gegeben hätte
vielleicht eine chance bestanden
hätte ich nicht zu viel geträumt von
geräuschen die nicht existieren hätte
ich noch alle tassen im schrank gelassen
hätte ich nicht das ende vor dem anfang oder
die geschichte umschreiben wollen in zu fremden
armen die das hätte vergessen machen können dann
hätte
wäre
wenn
ich noch kämpfen könnte und nicht alles aufgegeben hätte
wärst du bei mir und nicht nur in meinem kopf der diese zeilen
denkt

Freitag, 28. Mai 2010

tinnitus, tag drei


wir können uns nichts anhaben
sagst du und ritzt dir
meinen namen unter die haut


© Horlemann Verlag, 2013

Donnerstag, 27. Mai 2010

für s., gestern


die ungeborenen kinder sind uns
abhanden gekommen wie der letzte schnee
während beim arzt die infusion durchlief
und meine hände immer kälter wurden
war ich durch einen vorhang von fremder
atmung getrennt das wollte ich dir
eigentlich erzählen doch ich vergaß
so vieles und wieder ging es nur um alles
was wir nicht bekommen können
als hätten wir es lang genug versucht
aber manchmal kommt plötzlich jemand
mit einer orchidee und ein anderer
macht keinen schritt du ahnst ja dass
ich morgen schon nicht mehr wissen werde
was mir nicht gut tut und dieser ganze schitt
koexistiert doch nur in unseren köpfen
an dieser stelle dürftest du lachen und ich
vergessen dass mir vodka nicht schmeckt


© Horlemann Verlag, 2013

Montag, 24. Mai 2010

"Schräge Chansons"


Riesig gefreut hat mich heute die Nachricht, dass im Rahmen des Projekts "Schräge Chansons" einige meiner Gedichte durch die Wiener Komponistin und Pianistin Monika Dörfler vertont werden. Die Uraufführung findet am 16.11.2010 in Wien statt.

Das Projekt "Schräge Chansons" gibt es schon länger. Bereits im Jahr 2009 wurde Lyrik u.a. von Ulrike Draesner, Lydia Daher, Franzobel, Anton G. Leitner, Andrea Heuser und Manfred Chobot vertont.

Verzicht auf den Vogelpark


Immer wieder kommt es im Leben vor, dass man wählen kann. Prinzipiell eine gute Sache, denn grundsätzlich weiß man ja, was man will. Wäre da nicht die Vernunft, die einen davon abhalten kann, etwas zu tun, was man eigentlich möchte, oder die einen dazu bringen kann, etwas zu tun, was man eigentlich nicht möchte. Das fängt in meinem Fall bei Romanen an und hört bei Männern auf.

Seit jeher kommt es in meinem Leben zu solchen Konstellationen: Entscheidungsfindungen, bei denen ein ganz klares Bauchgefühl zur einen Seite und ein ganz klares Kopfgefühl zur anderen Seite besteht. Wie auch immer ich die Spatz-Taube-Frage in der Vergangenheit entschieden habe, ob ich Kopf (meist) oder Bauch (manchmal) habe entscheiden lassen, am Ende stand häufig der Supergau.

Eine Variante, die ich erstaunlicherweise bislang nie in Betracht gezogen hatte, wäre jedoch, sich gegen beides zu entscheiden: kein Spatz, keine Taube. Und kein Ärger. Einfach so weitermachen wie bisher. Da alle anderen Varianten einen Tendenz zum Supergau haben, wäre das doch mal etwas, was man austesten sollte, oder? Keine Vögel mehr. Ich mag sowieso lieber Katzen.

Also, weg mit dem ganzen Vogelgedöns, egal wie schön sie singen und egal wie bunt ihre Federn sind! Da gibt es nur ein Problem: Die Katze frisst den Spatz in der Hand, den man ihr hinhält. Aber erwischt sie auch die Taube auf dem Dach?

Freitag, 14. Mai 2010

sprich nicht mit geistern


über diesen tagen etwas
das die stirn nicht trägt die hände
nach gebrauch zurücklässt
als gezähmte zirkustiere im innern
eines fest verschlossenen
mundes beware of the
whatever denn wer weiß schon
was darin sich aufhält oder wächst
es ist doch so: ein jedes
vergiftetes apfelstück findet platz
in irgendeiner kehle wo es
ausharrt und sich breit macht
über diesen tagen etwas
das die schulden tilgt die furche
am scheitel weißt und da ist
immer noch das leben
das du niemals führen wolltest
nun heißt es vita und steht
in jeder mappe die du weggibst
die zurückkehrt manchmal
schon nach tagen manchmal erst
nach jahren wie ein alter fluch


© Horlemann Verlag, 2013

Sonntag, 25. April 2010

*

Wenn ein Anfang wäre wie ein neuer Zahn, der eine alte Lücke schließt, dann möchte ich ihn an einer Stelle, wo ich nichts vermisst habe und jetzt trotzdem etwas wächst.

Mittwoch, 21. April 2010

Was man hat, das hat man. Oder auch nicht.


Quizfrage: Was macht man mit 75.000 Euro, die man gar nicht hätte bekommen dürfen?

a) Sowas gibt es nicht. (Doch, heute auf der Arbeit erlebt!)
b) Man bucht sie zurück.
c) Man behält sie.

Da wir Anstand besitzen (und weil Möglichkeit c) eh irgendwann auffliegen würde), wählen wir Möglichkeit b), die sich allerdings recht umständlich gestaltet, wenn man den eingegangenen Betrag bereits gesplittet und teilweise auf eine bis dato offene Forderung verbucht hat (aber eine Forderung zu haben, heißt ja leider nicht zwangsläufig, sie auch vereinnahmen zu dürfen).
Vereinfacht dargestellt, tun wir das Folgende: Wir schreiben erst einmal zu dem noch nicht verbuchten Restbetrag (Überzahlung) eine Annahmeanordnung, obwohl wir dazu nicht mal eine Forderung haben, nehmen diesen Restbetrag dann aus der vorübergehenden Verwahrung und haben jetzt für einen Moment: noch mehr Geld, das uns nicht zusteht! Nämlich das Geld aus der zu Unrecht vereinnahmten Forderung und das aus der fiktiven, gar nicht existenten Forderung. Da wir aber Anstand besitzen (und weil Möglichkeit c) eh irgendwann... s.o.), überweisen wir sodann alles an die Stelle zurück, bei der ein Automatismus dazu geführt hat, dass wir das Geld seinerzeit fälschlicherweise zugewiesen bekommen haben. Wir wählen nun bei der Rücküberweisung einen klaren Verwendungszweck mit diversen Kennzahlen und punktgenauen Begrifflichkeiten, um weitere Automatismen so gut als möglich auszuschließen. Wir fragen später nochmal nach, ob das Geld auch wirklich angekommen ist. Wir teilen Hinz und Kunz (die wir zuvor im Rahmen unserer Nachforschungen verrückt gemacht haben) mit, dass jetzt alles toll ist. Wir malen uns aus, was wir mit 75.000 Euro gemacht hätten, wenn sie durch eine glückliche und gänzlich unverdiente Fügung auf unserem Privatkonto gelandet wären. Dazu nur soviel: Wir hätten es mit Sicherheit nicht gebloggt.

Freitag, 16. April 2010

werbepausendichten II


ich möchte nicht mehr in verschlüsselungen
denken vor dem sprechen kontrollieren
was nicht stimmt meine hände sind schon
wieder ein stück kleiner geworden das kommt
von zu viel anfassen was man nicht anfassen
soll oder: wenn ich meinen kaffeebecher
mit dem brotkorb verwechsle so etwas passiert
mitunter am rand der abendnachrichten
während ich an dich denke deine stimme
in meinem ohr zum leben erwecke vielleicht
auch völlig neu erschaffe wie dein lächeln und
dein längst schon falsch erinnertes gesicht


© Horlemann Verlag, 2013

Dienstag, 30. März 2010

Neues Genre


Nun wird es ernst. Heute habe ich den Vertrag mit einem großen Verlag unterschrieben, und dieser Vertrag führt mich in ein neues Genre. Fix war's schon länger, und noch länger war die Sache im Gespräch. Und eine ganze Weile erschien es mir - trotz Exposé-Verfassens, erster Recherchen und Kapitelentwürfe - noch sehr abstrakt. Inzwischen ist es auch im Kopf angekommen. Und es ist schön, zum ersten Mal beim Schreibprozess von jemandem begleitet zu werden. Ich bin zuversichtlich, dass die Zusammenarbeit mit dem Verlag sehr produktiv sein wird. Der geplante Erscheinungstermin für das Buch ist Herbst 2011, man darf gespannt sein, ich bin es jedenfalls. Einen Roman zu schreiben (die noch nicht lektorierte Erstversion), dauert etwa so lange wie eine Schwangerschaft. Ich glaube, es wird ein Mädchen. Wenn es zur Welt kommt, wird es 16 Jahre alt sein.

Freitag, 5. März 2010

Ernst im Alltag


Wer schon immer wissen wollte, wie man sich in Zeiten der Krise mit gebotenem Ernst durchs Leben bewegen sollte, der kann meinen Text Ernst im Alltag auf den Seiten der schreibkraft nachlesen.

Mittwoch, 3. März 2010

Seabear im Hafenklang


Tja, ich werde auf meine alten Tage tatsächlich noch zur Konzertgängerin. Nach Brett Anderson im Januar waren gestern Seabear aus Reykjavik dran – derzeit eine meiner absoluten Lieblingsbands. Zum Glück haben wir noch Karten an der Abendkasse bekommen, und außerdem die Garderobenmarken mit den Nummern 1 und 2. Die Vorgruppe war (in Teilen) bärtig und brummelig, aber durchaus hörenswert. Als Seabear dann auf der Bühne standen und ausgerechnet mit meinem Lieblingssong "Arms" loslegten, war ich wunschlos glücklich. Das ganze Konzert war unbeschreiblich schön. Und dabei ist mir etwas ziemlich Erstaunliches aufgefallen: Während ich früher Musik gehört habe, um darin mein eigenes "Leiden" wiederzufinden, höre ich sie nun, weil sie mich glücklich macht. Was ist da nur passiert? Leide ich nicht mehr am Leben? Oder anders als früher? Nennt man das Erwachsenwerden? Zufriedenwerden? Oder einfach nur Älterwerden? Auf jeden Fall fühlt es sich erstaunlich gut an. Wo auch immer ich da angekommen bin, ich möchte nicht mehr von dort weg. Oder noch weiter hin. Die Frage ist unausweichlich: Geht da noch mehr?

Ich habe mir fest vorgenommen, in zehn Jahren diesen Blogeintrag nochmals zu lesen und mir die Frage in einem Kommentar zu beantworten. Wer jetzt denkt "Geh, den Blog gibt's in zehn Jahren doch längst nicht mehr!", der könnte Recht haben. Aber wenn es ihn nicht mehr gibt, dann wahrscheinlich deshalb, weil er mir einfach nicht mehr wichtig ist. Es könnte ja durchaus sein, dass wachsende Zufriedenheit Blogs überflüssig werden lässt. Man darf gespannt sein.

Donnerstag, 18. Februar 2010

Hollywoodschaukel


Wenn ihr ungefähr so alt seid wie ich, dann hattet ihr bestimmt auch so ein Teil oder kanntet jedenfalls jemanden, der eins hatte... ;-)



Die Hollywoodschaukel im Garten meiner Großmama hat viele Erinnerungen bei mir hinterlassen. Ich kann mich an den Geruch der sonnenerhitzten Polster erinnern und an das hartnäckige Quietschen beim Schaukeln. Am liebsten saß ich allein darin. Oder besser: ich lag und versuchte, im Liegen zu schaukeln, was mir nie so recht gelingen wollte (und was von meinen Eltern gar nicht gern gesehen wurde, weil die Schaukel nicht sonderlich standfest war). Wenn ich heute an die Hollywoodschaukel denke, ist auch alles andere wieder da. Die Erdbeeren, das Johannisbeergelee, der Rhabarberkuchen mit dem Baiserschaum. Die Minze, die so wunderbar gerochen hat, wenn man sie zwischen den Fingern zerrieb. Das Gefühl der Brennesseln an den Beinen. Und der Nachbarshund, mit dem ich am Zaun entlang immer Wettrennen gemacht habe. Manchmal saß ich im Gartenhäuschen und habe mir vorgestellt, dort zu wohnen, ganz allein, und von dem Obst im Garten zu leben. Die Steinplatten auf der Terrasse waren in der Sonne glühend heiß unter den Füßen, man durfte nicht stehen bleiben, man musste immer weiter. Und überall liefen diese winzigen roten Milben herum. Ich habe ganze Nachmittage damit verbracht, Insekten aus dem Wasser zu retten. Warum wollte ich eigentlich nie Bademeisterin werden?

Anlass für meine Gedanken über dieses farbenfrohe Familienfoto ist übrigens die Literaturzeitschrift "Kritische Ausgabe", die in ihrem nächsten Heft mit dem Thema "Familie" möglichst keine normalen Autorenfotos haben will, sondern Fotos, auf denen die Autoren zusammen mit dem abgebildet sind, was sie als ihre Familie ansehen (können auch Freunde oder Stofftiere sein, hieß es). Ich besitze leider kein aktuelles Familienfoto, und meine Stofftiere sind schon vor langer Zeit dem Entsorgungsdrang meiner Mutter zum Opfer gefallen, also musste ich fototechnisch zurückgehen in eine Zeit, in der ich noch nicht so fotoscheu war wie heute. Und wie's ausschaut, wird in der nächsten Kritischen Ausgabe dann Klein-Myriam in der Hollywoodschaukel auftauchen, neben Großpapa, Mama und Großmama. Das Foto hat der Papa gemacht.

Ich finde es schade, dass die Hollywoodschaukel später im Rahmen eines Umzugs entsorgt wurde. Kann man sich vorstellen, dass ich seit meiner Zeit in diesem Garten keine Glühwürmchen mehr gesehen habe? Gibt es überhaupt noch Glühwürmchen? Gibt es noch Hollywoodschaukeln? Meine Haare sind jedenfalls nicht mehr so hell wie damals. Dafür ist die Nase viel größer. Die Hände hingegen sind fast genauso klein geblieben - weshalb ich die kleinsten Papierschiffchen der Klasse falten konnte, einige Jahre später allerdings das Gitarrespielen nach einem einigermaßen langen Versuch wieder aufgegeben habe, da so mancher Akkord nicht greifbar war. Um vor ein paar Monaten beim Orthopäden eine Bandage für mein Handgelenk zu bekommen, musste die Sprechstundenhilfe in den Keller gehen: "Größe 1 haben wir hier oben nicht, das braucht sonst kein Mensch."

Ich habe kürzlich versucht, ein Papierschiffchen zu falten und konnte es nicht mehr. Es sollte gar kein besonders kleines sein, ich wollte einfach nur mal wieder ein Schiffchen falten. Aber ich wusste nicht mehr, wie es geht. Bis zum Hut kam ich noch, und das war’s dann. Dieser Moment hat sich angefühlt, als wäre irgend etwas falsch gelaufen zwischen damals und heute, als wäre ein sehr elementarer Teil von mir verschwunden. Einfach weg. Wie die Glühwürmchen und der Baiserschaum und ein Teil der Personen auf dem Foto.

Montag, 8. Februar 2010

Borreliose


Heute mal ein bisschen Aufklärungsarbeit hinsichtlich einer Krankheit, die man nach einer unbehandelten Infektion ein Leben lang mit sich herumschleppt, die sich vielfältig äußern kann und oftmals zu falschen Diagnosen führt: die Lyme-Borreliose.

Ich selbst wurde im Alter von acht Jahren damit infiziert und leide - nach früheren gelegentlichen und nur leichten Beschwerden - seit letztem Jahr erstmals an starken Beschwerden, die einen normalen Alltag so gut wie unmöglich machen. Die Krankheit kann im Spätstadium im schlimmsten Fall nicht nur zu starken Schmerzen, sondern auch zu Lähmungen führen. Ich möchte deshalb an dieser Stelle einen Link zu einem informativen Artikel der Apotheken-Umschau posten. Leider ist die Krankheit in der Bevölkerung und sogar unter Ärzten immer noch nicht sehr bekannt. Im besten Falle hat man schon mal davon gehört, weiß aber nicht wirklich etwas über die Symptomatik.

Infos zur Lyme-Borreliose (Symptome, Diagnose, Therapie etc.)

Dienstag, 2. Februar 2010

werbepausendichten


so muss es sein in nächster zeit
das gras wächst sich tot und ich
schrei es nieder bis die stimmen
fast verschwinden und sich lösen
von der angst ich habe rote kreuze
im kalender und die schwarzen
zahlen auf der sicheren seite aber
ohne reihenfolge falsch gestaffelt
ist hier nur noch chaos nur noch
tage ohne ein gespür für schnee

Sonntag, 24. Januar 2010

Katharina Hagena // Der Geschmack von Apfelkernen


Wie schmecken eigentlich Apfelkerne? Eine Frage, die ich nicht beantworten kann, denn ich habe noch nie einen Apfelkern gegessen. Grund dafür ist unter anderem, dass mit absoluter Zuverlässigkeit jeder Apfel, den ich aufschneide, Schimmel im Kernhaus hat. Ob das nun daran liegt, dass ich die falschen Apfelsorten kaufe, oder vielleicht an Dauer und Art der Lagerung, ehe die Äpfel den Endverbraucher erreichen, darüber kann ich nur mutmaßen. Ich glaube mich zu erinnern, dass die Äpfel von den Apfelbäumen meiner Großmutter, die ich als Kind gegessen habe, keine schimmeligen Kernhäuser hatten. Weil ich aber eine Erziehung genossen habe, in der das Mitessen von Kernhäusern ein Tabu war, habe ich auch in etwaigen schimmelfreien Zeiten nie einen Apfelkern probiert. Und genau hier setzt er an, "Der Geschmack von Apfelkernen" von Katharina Hagena, in den unabänderlichen Geschehnissen der Vergangenheit, im Haus der verstorbenen Großmutter, im Haus der Kindheit einer inzwischen jungen Erwachsenen.

Nach dem Tod ihrer Großmutter Bertha erbt Iris das alte Haus mit Garten. Während sie dort einige Tage verbringt, um sich darüber klar zu werden, ob sie das Anwesen behalten soll, kehren die Erinnerungen zurück, die Schicksale ihrer Familie. Auch ihr bisher unbekannte Schicksale erscheinen auf der Bildfläche. So erfährt Iris, dass ihr Großvater vielleicht nicht der leibliche Vater einer ihrer Tanten war. Sie erfährt dies übrigens vom potentiellen leiblichen Vater der Tante. Was Iris ansonsten noch widerfährt in diesen Tagen: Sie badet nackt im See und begegnet dabei ihrem Anwalt, der wiederum der Bruder einer ihrer Kindheitsfreundinnen ist ("Ich war splitternackt und er mein Anwalt.", S. 91), sie radelt in einem goldenen Ballkleid ihrer Mutter, das der Kleiderschrank in Berthas Haus hergibt, zum Baumarkt und purzelt auf dem Rückweg samt zerplatzendem Farbeimer und Fliege im Auge auf die Straße (und wird vom Anwalt aus der Farbsuppe gefischt), sie streicht das Hühnerhaus (mit Hilfe des Anwalts), sie badet nochmal nackt im See und begegnet auch dabei...na, wem wohl? Ja, und bei diesem neuerlichen Bade passiert dann endlich auch etwas mehr zwischen ihm und ihr, wenn auch nicht genug, wie sie findet. Er ist schon ein Rätsel, dieser Max. Und Iris selbst ist das bisweilen auch.

"Der Geschmack von Apfelkernen" ist kein neues Buch, aber immerhin relativ neu als Taschenbuch, und weil ich Hardcover nicht mag (die lassen sich so schlecht in Seitenlage im Bett lesen, meiner Lieblingsleseposition), greife ich meist erst zu, wenn das Taschenbuch erscheint. Ein wenig enttäuscht war ich, weil die ersten Absätze des Buches so vielversprechend gewesen waren und das Folgende dieses Versprechen zunächst nicht einlösen konnte. Nicht, dass es ein schlechtes Buch wäre. Es ist ein sehr gutes Buch. Aber die ersten Absätze gehören zu den eindringlichsten und außergewöhnlichsten des gesamten Buches. Man erfährt von "konservierten Tränen", einem durchsichtigen Johannisbeergelee, das aus über Nacht weiß gewordenen, ehemals roten Johannisbeeren gemacht wurde. Weiß wurden die Johannisbeeren im Garten seinerzeit mit dem Tod der damals 16-jährigen Anna, Berthas Schwester. Der Rest der dargestellten Familienschicksale kommt ebenfalls nicht beliebig daher, ist unterhaltsam erzählt und wartet immer wieder mit erstaunlichen Details auf. Trotz dieser Tatsachen und obwohl auch die konservierten Tränen hin und wieder ein weiteres Gastspiel geben, gibt es Strecken im Buch, die gegenüber anderen etwas blass aussehen. Wie weiße Johannisbeeren eben. Allzu banale Beschreibungen von getätigten Einkäufen beispielsweise. Im weiteren Verlauf des Buches sterben diese Stellen allmählich aus, und sie sind mir möglicherweise auch nur deshalb aufgefallen, weil das meiste in diesem Buch eben nicht banal ist.

Hin und wieder habe ich mich bei dem Gedanken ertappt, dass mir eine nicht in solch weiten Teilen "erinnerte" Geschichte lieber gewesen wäre. Das ist wahrscheinlich Geschmackssache, und ich wüsste ehrlich gesagt auch nicht, wie man die vorliegende Geschichte anders erzählen sollte. Vielleicht war es für mich das richtige Buch zum falschen Zeitpunkt. Ich stehe derzeit wesentlich mehr auf das Jetzt als auf Erinnerungen.

A propos Geschmackssache: Apfelkerne schmecken nach Marzipan. Das erfahren wir auf Seite 66.


Der Geschmack von Apfelkernen. Roman (TB)
Kiepenheuer & Witsch, Köln, August 2009
272 S., ISBN 978-3-462-04149-1, Preis 8,95 Euro

Mittwoch, 13. Januar 2010

Familie Schmitt und Profilneurosen


Ich gehe ja des öfteren auf dem Ohlsdorfer Friedhof spazieren. Das Gute daran: Er ist so groß, dass man dort schon mal eine Stunde lang herumlaufen kann, ohne jemandem zu begegnen. Das Blöde daran: Er ist so groß, dass man dort schon mal eine Stunde lang herumlaufen kann, ohne jemandem zu begegnen. Wenn man also allein sein will, dann passt es. Wenn man sich verlaufen hat, nervt es. Und ich schaffe es immer wieder, mich dort zu verlaufen. Es kann dann durchaus vorkommen, dass ich ein, zwei Stunden länger auf dem Gelände verbringe, als ich vor hatte. Ich besitze nämlich null Orientierung.

Und hier kommt Familie Schmitt ins Spiel. Wenn man eine schlechte Orientierung besitzt, entwickelt man Strategien, um sich möglichst wenig zu verlaufen. Zum Beispiel merkt man sich die Namen auf einzelnen Grabsteinen, an denen man vorbeikommt, um diese auf dem Rückweg (welcher für Menschen ohne Orientierungssinn völlig anders aussieht als der Hinweg) wiederzufinden. Wichtig hierbei: Niemals Familie Schmitt bemühen!



Denn Familie Schmitt gibt es auf dem Friedhof Ohlsdorf mindestens an jeder zweiten Ecke. Ebensowenig ist es ratsam, sich bei gängigen Nachnamen zusätzlich den Vornamen zu merken. Ist erstens umständlich und zweitens sinnlos, wenn der Mensch nicht gerade Eckebert-Friedhelm heißt. Rolf Müller beispielsweise ist selbst nach seinem Ableben noch ein übler Schurke und geistert einfach überall herum.



Da mein Gedächtnis mindestens ebenso schlecht ist wie mein Orientierungssinn, gerate ich allerdings auch bei den pfiffig ausgewählten Namen in arge Bedrängnis, weil sie mir zwanzig Meter weiter meist schon wieder entfallen sind. Und deshalb ist mir der aktuell so frostige Winter ziemlich lieb. Verschneit sieht der Ohlsdorfer Friedhof richtig hübsch aus!



Der entscheidende Vorteil am weißen Winter ist jedoch: Verlaufen ist derzeit so gut wie ausgeschlossen, weil man sich immer am Profil der eigenen Schuhe im Schnee orientieren kann. Je ausgefallener das Profil, umso leichter hat man's. Ich kaufe meine Winterschuhe längst nicht mehr nach ganzheitlicher Optik. Ich gehe nach der Sohle, im wahrsten Sinne des Wortes. Dann klappt's auch mit der Zeitplanung beim friedhöflichen Spaziergang und man kann pünktlich zum Abendessen wieder zu Hause sein...

Dienstag, 5. Januar 2010

Brett Anderson // Slow Attack


Eine alte Liebe vergisst man normalerweise nicht. Doch man kann sie aus den Augen verlieren und nach einigen Jahren feststellen, dass sie erwachsen geworden ist.

Als sich Suede damals aufgelöst haben, waren mir The Tears kein wirklicher Trost. Also habe ich den Kontakt abgebrochen und das Ganze nicht mehr weiter verfolgt, weil man nicht gerne dabei zusieht, wie eine alte Liebe sich von einem entfremdet.

Umso dankbarer bin ich, dass mich nun jemand aus meinem Dörnröschenschlaf geholt und mich auf die Solowerke von Brett Anderson aufmerksam gemacht hat. Etwas beschämt bin ich schon, davon so gar nichts mitbekommen zu haben. Wie tief kann man schlafen? Ja, ich war wohl fast schon komatös.

Und so habe ich nun das aktuelle Soloalbum "Slow Attack" von Brett Anderson gehört. Ich weiß nicht viel über Musik und ich weiß nicht viel über Literatur. Beides nehme ich mit Sicherheit anders auf als jemand, der eine vorwiegend wissenschaftliche Herangehensweise hat. Egal ob ich ein Buch lese/schreibe oder ob ich Musik höre - ich kann nur dem vertrauen, was ich dabei spüre. Bei "Slow Attack" ist es das Folgende: Sie sind noch da. Die Streicher, das Piano aus Suede-Zeiten. Auch die Sehnsucht in den Texten. Das macht es einfacher, nach all den Jahren wieder einen Zugang zu finden. Doch nötig wäre diese Verbindungslinie hier gar nicht gewesen, ich würde "Slow Attack" auch nicht anders beurteilen, wenn ich noch nie ein Suede-Album gehört hätte. Dieses Werk spricht für sich selbst, auch ohne Erinnerungen. Jeder Song stimmt, jedes eingesetzte Instrument scheint beängstigend genau an seinem Platz. Es ist ein Album wie ein guter Roman, kein Stückwerk, sondern ein perfektes Ganzes, in dem die einzelnen Titel zu einer Einheit verschmelzen. Ein unaufgeregtes Album voller trauriger, sehnsuchtsvoller Töne und Texte, die immer auch Hoffnung und Leidenschaft vermitteln. Ein Aufbruchsalbum, ein Angekommenseinalbum. Eine Slow Attack, der man sich nicht entziehen kann. Da gibt es keine Songs mit Überlänge und langen Insrumental-Passagen, die zwar in sich wunderbar sind, aber die Einheit und den Fluss eines Albums stören (wie z.B. bei "The Asphalt World" auf "Dog Man Star"), es gibt keine Eskapaden und keine Schnörkel. Hier ist alles sehr konsequent auf den Punkt gebracht, alles relevant und keine Sequenz überflüssig. Sollte ich "Slow Attack" mit einem Buch vergleichen, würde es "Herztier" von Herta Müller sein – nicht wegen der Texte, sondern wegen des Gefühls, mit dem es mich zurücklässt.

Noch etwas Schönes: Seit Suede-Zeiten hat sich Brett Andersons Stimme kaum verändert. Sie ist nicht wirklich älter geworden, aber erwachsener und ebenfalls mehr auf den Punkt. Vielleicht nicht so sehr in technischer Hinsicht wie in emotionaler.

Fazit: Eines der besten Alben, die ich je gehört habe. Noch besser als Suede. Oder auch: Wir sind nun alle ein paar Jahre älter, und das ist gut so.