Sonntag, 30. Mai 2010

tinnitus, tag fünf


hätte ich dir nicht zu früh
einen namen gegeben hätte
vielleicht eine chance bestanden
hätte ich nicht zu viel geträumt von
geräuschen die nicht existieren hätte
ich noch alle tassen im schrank gelassen
hätte ich nicht das ende vor dem anfang oder
die geschichte umschreiben wollen in zu fremden
armen die das hätte vergessen machen können dann
hätte
wäre
wenn
ich noch kämpfen könnte und nicht alles aufgegeben hätte
wärst du bei mir und nicht nur in meinem kopf der diese zeilen
denkt

Freitag, 28. Mai 2010

tinnitus, tag drei


wir können uns nichts anhaben
sagst du und ritzt dir
meinen namen unter die haut


© Horlemann Verlag, 2013

Donnerstag, 27. Mai 2010

für s., gestern


die ungeborenen kinder sind uns
abhanden gekommen wie der letzte schnee
während beim arzt die infusion durchlief
und meine hände immer kälter wurden
war ich durch einen vorhang von fremder
atmung getrennt das wollte ich dir
eigentlich erzählen doch ich vergaß
so vieles und wieder ging es nur um alles
was wir nicht bekommen können
als hätten wir es lang genug versucht
aber manchmal kommt plötzlich jemand
mit einer orchidee und ein anderer
macht keinen schritt du ahnst ja dass
ich morgen schon nicht mehr wissen werde
was mir nicht gut tut und dieser ganze schitt
koexistiert doch nur in unseren köpfen
an dieser stelle dürftest du lachen und ich
vergessen dass mir vodka nicht schmeckt


© Horlemann Verlag, 2013

Montag, 24. Mai 2010

"Schräge Chansons"


Riesig gefreut hat mich heute die Nachricht, dass im Rahmen des Projekts "Schräge Chansons" einige meiner Gedichte durch die Wiener Komponistin und Pianistin Monika Dörfler vertont werden. Die Uraufführung findet am 16.11.2010 in Wien statt.

Das Projekt "Schräge Chansons" gibt es schon länger. Bereits im Jahr 2009 wurde Lyrik u.a. von Ulrike Draesner, Lydia Daher, Franzobel, Anton G. Leitner, Andrea Heuser und Manfred Chobot vertont.

Verzicht auf den Vogelpark


Immer wieder kommt es im Leben vor, dass man wählen kann. Prinzipiell eine gute Sache, denn grundsätzlich weiß man ja, was man will. Wäre da nicht die Vernunft, die einen davon abhalten kann, etwas zu tun, was man eigentlich möchte, oder die einen dazu bringen kann, etwas zu tun, was man eigentlich nicht möchte. Das fängt in meinem Fall bei Romanen an und hört bei Männern auf.

Seit jeher kommt es in meinem Leben zu solchen Konstellationen: Entscheidungsfindungen, bei denen ein ganz klares Bauchgefühl zur einen Seite und ein ganz klares Kopfgefühl zur anderen Seite besteht. Wie auch immer ich die Spatz-Taube-Frage in der Vergangenheit entschieden habe, ob ich Kopf (meist) oder Bauch (manchmal) habe entscheiden lassen, am Ende stand häufig der Supergau.

Eine Variante, die ich erstaunlicherweise bislang nie in Betracht gezogen hatte, wäre jedoch, sich gegen beides zu entscheiden: kein Spatz, keine Taube. Und kein Ärger. Einfach so weitermachen wie bisher. Da alle anderen Varianten einen Tendenz zum Supergau haben, wäre das doch mal etwas, was man austesten sollte, oder? Keine Vögel mehr. Ich mag sowieso lieber Katzen.

Also, weg mit dem ganzen Vogelgedöns, egal wie schön sie singen und egal wie bunt ihre Federn sind! Da gibt es nur ein Problem: Die Katze frisst den Spatz in der Hand, den man ihr hinhält. Aber erwischt sie auch die Taube auf dem Dach?

Freitag, 14. Mai 2010

sprich nicht mit geistern


über diesen tagen etwas
das die stirn nicht trägt die hände
nach gebrauch zurücklässt
als gezähmte zirkustiere im innern
eines fest verschlossenen
mundes beware of the
whatever denn wer weiß schon
was darin sich aufhält oder wächst
es ist doch so: ein jedes
vergiftetes apfelstück findet platz
in irgendeiner kehle wo es
ausharrt und sich breit macht
über diesen tagen etwas
das die schulden tilgt die furche
am scheitel weißt und da ist
immer noch das leben
das du niemals führen wolltest
nun heißt es vita und steht
in jeder mappe die du weggibst
die zurückkehrt manchmal
schon nach tagen manchmal erst
nach jahren wie ein alter fluch


© Horlemann Verlag, 2013