Montag, 1. November 2010

Die Gemüter der Busfahrer


So verschiedenartig die Hamburger Stadtteile sind, so unterschiedlich gestrickt sind auch die jeweiligen Chauffeure des nicht schienengebundenen Nahverkehrs. Wenn der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) gerade mal wieder Neueinstellungen von Busfahrern plant, flackern über die Bildschirme in den Bahnen und den U/S-Bahn-Stationen immer die Einstellungsvoraussetzungen: Unter anderem sollte der Hamburger Busfahrer demnach "Freude am Umgang mit unseren Fahrgästen" haben.

Die Altonaer Busfahrer scheinen diese Voraussetzung in aller Regel zu erfüllen. Im diesjährigen Sommer nahm ich an einem späten Samstagabend am Bahnhof Altona von meiner männlichen Begleitung noch im Bus Abschied, weil sich unsere Heimwege dort trennten. Ich selbst verblieb im Bus, um die Weiterfahrt in Richtung Wandsbek anzutreten. Nach dem Aussteigen meiner Begleitung drehte sich mein Busfahrer zu mir um und fragte halbwegs fassungslos: "Lässt du ihn allein nach Hause gehen?" "Ja", antwortete ich, "ich wohne in Wandsbek". "Kannst doch trotzdem mit ihm gehen!", entkräftete mein Busfahrer dieses schlagende Argument. Er fuhr mich dann ein bisschen enttäuscht nach Wandsbek Markt, wo seine Fahrt endete und ich in den nächsten Bus umstieg. Weiter als bis Wandsbek Markt würde sich kein Altonaer Busfahrer trauen. Denn hinterm Wandsbeker Markt liegt die humorfreie Zone.

Der 9er Bus, der von dort in ebendiese Zone startet, beherbergt Busfahrer, die scheinbar nicht die spezielle eingangs genannte Einstellungsvoraussetzung erfüllen, denn von Freude am Umgang mit den Fahrgästen ist da nichts zu spüren. Und schon gar nicht bekommt man von ihnen den gutgemeinten Rat zu einem samstagabendlichen Schäferstündchen. Der Wandsbeker Busfahrer am Samstagabend ist stumm, kontrolliert entweder übergenau oder aber mit desinteressiertem Seitenblick die Fahrkarten und fährt drei Sekunden zu spät kommenden potentiellen Fahrgästen vor der Nase weg. Anfangs dachte ich noch, dieses Verhalten sei einer gewissen Stoffeligkeit geschuldet. Doch dann fiel mir etwas auf. Wer als Fahrgast die Strecke ab Wandsbek Markt in Richtung Rahlstedt mitfährt, an einem späten Samstagabend, der kann eigentlich nur eines wollen: nach Hause. Etwas anderes gibt es da nämlich nicht. Und "nach Hause" geht, sitzt man erst mal im 9er Bus, nur in eine Richtung. Deshalb trennen sich die Wege von miteinander bekannten Heimfahrenden hier nur selten. Wer sich kennt, steigt zusammen ein und zusammen aus. Somit erübrigt sich für den Busfahrer jegliche Einmischung in die weitere Abendgestaltung, denn die 9er-Reisenden lassen niemanden ziehen - sie haben jemanden oder nicht. Was im Ergebnis bedeutet: Wandsbeker Busfahrer haben nicht etwa weniger Freude am Kontakt mit ihren Fahrgästen als Altonaer Busfahrer, sondern sie wissen eben ganz genau, dass sie keine Worte machen müssen, weil sie ihre Schäfchen auf jeden Fall in der vorgesehenen Sortierung ins Trockene bringen. Und wenn sie jemandem vor der Nase wegfahren, dann tun sie das auch nur, um demjenigen die Möglichkeit zu geben, bis zum nächsten Bus noch die passende Begleitung zu finden. Wandsbeker Busfahrer wissen, dass sie in einer Tour viel Gutes tun können. Dafür fährt man doch gern mal die Spätschicht am Samstagabend.

Inzwischen haben wir Herbst, ich wohne immer noch in Wandsbek und meine damalige Samstagabendbegleitung begleitet nun häufiger meine Samstagabende. Den fürsorglichen Altonaer Busfahrer habe ich nicht wiedergesehen. Vielleicht ist er nach Pinneberg oder Harburg versetzt worden. Brauchen könnte man ihn dort sicher zur Steigerung der Geburtenzahlen. Also, indirekt, weil er ja so gerne den Kuppler spielt.

Und kürzlich hat doch tatsächlich bei Tagesanbruch ein Wandsbeker Busfahrer meinen morgendlichen Gruß erwidert. Nicht mit einem gequälten Nicken oder einem genuschelten Was-auch-immer, sondern mit einem deutlichen "Moin!". Es geschehen noch Zeichen und Wunder.

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