Sonntag, 19. April 2009

Roman - Miniauszug I


Auf dem Heimweg steuert Wolfgang schweigend den Wagen. Anke sieht gelegentlich zu ihm hinüber, um ihn aus der Reserve zu locken. Aber Wolfgang lässt sich nicht locken. Ich weiß nicht mal, wieso ich nichts sage, stellt er fest und versucht sich an einem Lächeln in Richtung seiner Frau, weil er glaubt, ihr zumindest das schuldig zu sein. Der Innenraum des Autos ist zunächst noch ebenso kalt wie anfangs die Hütte, aber wie diese wird auch das Autoinnere allmählich wärmer, mit jeder Straßenecke nistet sich die trockene Heizungsluft mehr und mehr ein. Wolfgang fühlt sich schon wieder schläfrig.
"Sssssss", macht Anke.
Das Geräusch entsteht, wenn sie die Luft durch geschlossene Zahnreihen in den Mund zieht. Sie macht immer Sssssss, wenn Wolfgang beim Autofahren in eine Situation gerät, die sie als kritisch einstuft. Wolfgang macht dieses Sssssss wahnsinnig, weil er nie weiß, was eigentlich los ist. Hinterher stellt sich meist heraus, dass es eine Situation war, die nur seine Frau als einigermaßen gefährlich eingeschätzt hat (Paradebeispiel: ein nach Ankes Dafürhalten zu nahes Vorbeifahren an einem anderen Auto), und wenn die Situation tatsächlich einmal etwas objektiv Gefährliches gehabt haben sollte, dann hätte ihm ihr Sssssss auch nichts genützt (was soll so ein Sssssss denn bitteschön helfen, wenn man zum Beispiel ungebremst auf einen Radfahrer zusteuert, ein Pass auf, der Radfahrer! oder etwas ähnliches wäre da doch wesentlich konstruktiver).
Dieses Mal folgt dem Sssssss jedoch, ganz untypisch, noch etwas anderes.
"Pass auf!", ruft Anke, brüllt es beinahe.
"Was denn?", schreit Wolfgang erschrocken zurück. Hat er einen auf die Fahrbahn zurollenden Kinderwagen übersehen? Ist er geblitzt worden? Sie könnte doch wenigstens sagen, was... Weil ihm Ankes Reaktion zu lange dauert, entscheidet er sich in Sekundenbruchteilen für eine Vollbremsung. Hinter ihm kommt ein weiterer Wagen quietschend zum Stehen.

- aus einem aktuellen Romanprojekt -

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