Montag, 4. Juni 2012

Inoffizieller Abschlussbericht


Irgendetwas fehlt noch. Nach meiner Rückkehr aus Mallorca hatte ich ständig das Gefühl, alles mögliche nicht festgehalten zu haben. Deshalb gibt es nun hier, fernab des offiziellen Arbeitsberichts an die Kulturbehörde, eine Zusammenfassung von überaus individuellen Eindrücken und Anekdötchen, die aus dieser besonderen Zeit stammen.

Habe ich in den ersten Tagen unserer Anwesenheit in Frau V.s wunderprächtiger Finca noch mit dem einzigen in Inca erhältlichen Heizlüfter für 36,99 € geliebäugelt, so wurde es nach einer Weile dann ja doch warm genug, um die T-Shirts auszupacken. Es hätte noch famoser sein können, wenn ich nicht als seit Jahren ausschließlich in Nordseegefilde Verreisende unbemerkt eine Sonnenallergie entwickelt hätte, die mir nun einen grässlichen Juckreiz bescherte. Fenistil war fortan mein ständiger Begleiter, und braun bin ich trotzdem nicht geworden, eher so etwas wie eine kuriose Mischung aus eierschalengelb, hellbeige und jeder Menge neuer Sommersprossen.

Ob der Erzherzog Ludwig Salvator auch so empfindliche Haut hatte? Er wirkt auf Darstellungen immer etwas blässlich. Dabei lädt sein Anwesen zum Lustwandeln in der Sonne ein. Man kann sich dort aber auch ein Schattenplätzchen suchen.



Geht natürlich auch in gekonnter Autorenpose:



Doch zurück zu "unserem" Anwesen. Hätten Hamburger Mietshäuser solche massiven Wände wie die Finca, gäbe es wahrscheinlich kaum noch Beschwerden über nachbarschaftliche Lärmbelästigung. Die Bauweise der mallorquinischen Türen und Fenster allerdings ist gewöhnungsbedüftig. Bei stürmischem Wetter klingeln trotz geschlossener Türen, Fenster und Fensterläden die schmucken Plättchen der Esstisch-Deckenlampe im Wind. Folglich lassen sich die lamentierenden Hähne im näheren Umfeld, die sich zwischen vier und sechs Uhr morgens gegenseitig verrückt machen, akustisch auch nicht wirklich aussperren.

Aussperren aus dem Garten der Finca kann man sie übrigens ebenfalls nicht. So fühlte ich mich an meinem Outdoor-Arbeitsplatz unter einem Johannisbrotbaum zuweilen beobachtet, drehte mich um - und sah dann einen ganz bestimmten Hahn samt seiner stets im Dreierpack auftretenden Hühnerschar hinter mir auf der Terrasse stehen. Nahezu geräuschlos beäugte man mich und fand es sehr irritierend, den Platz unter dem Baum, wo es sich gar herrlich picken und scharren lässt, einmal nicht für sich allein zu haben.

Ich sei eine Insel für mich, meint G.

Grund genug, um mich zu fragen: Passt eine Insel auf eine Insel? Obendrauf, mittenrein oder wieauchimmer?

Die Antwort muss lauten: Nicht ohne Fahrrad! Ein solches existierte zwar einst in der Finca, wurde aber letztes Jahr am Bahnhof von Inca entwendet. Die Polizei empfahl Frau V., sich auf den sonntäglichen Markt in Consell zu begeben, um dort für kleines Geld ein geklautes Fahrrad zu erwerben. Polizeiliche Förderung der Hehlerei sozusagen. Den durch Frau V. an uns weitergegebenen Tipp haben wir nicht umgesetzt, jedoch weniger aus Gewissensgründen, sondern weil ein Fahrrad nicht in unser Auto gepasst hätte und ich die 30 km von Consell zurück zur Finca meinen unberechenbaren Gelenken auf einem mit Muskelkraft zu betätigenden Vehikel nicht zugetraut habe. Aus den gleichen Gründen (und aufgrund der horrenden Mietpreise) kam ein Mietfahrrad nicht in Frage. Festzuhalten bleibt: Es scheint eine vermietungs- und hehlerfreie 30 km - Zone um die Finca herum zu existieren, zumindest in Bezug auf Fahrräder.

Das allerdings hält die Sportbegeisterten nicht ab. Die Hardcore-Radler gehören zum Landschaftsbild dazu. Meist im Rudel auftretend, quälen sie sich mit Vorliebe die Serpentinen hoch und werfen ihre leeren Trinkflaschen an den Straßenrand. Letzteres jedoch in aller Regel nur bei offiziellen Rennen, für die gerne mal unter Einsatz von Verkehrspolizisten irgendwelche Kreisverkehre abgesperrt werden, so dass man Umwege fahren muss, die man, wie könnte es anders sein, selbst herauszufinden hat.

Ach ja, die Verkehrspolizisten. Sie regeln nicht nur bei Radrennen, sondern auch nach Schulschluss und zu weiteren, mir unbekannten Anlässen. Es ist nicht verwunderlich, dass bei einer offenkundig stiefmütterlichen Behandlung von Hehlerei-Delikten derart viele Polizisten für die Verkehrsregelung eingesetzt werden. Irgendetwas müssen sie ja tun. So hat jedes Land seine Beschäftigungstherapie: Auf Mallorca regelt man den Verkehr, in Deutschland eskortiert man lieber, wie vergangenen Samstag in Hamburg, die Nazis bei ihren Demos.

Es gibt unendlich viele Grautöne auf dieser Welt.



Und so viele Möglichkeiten, dass man sich glatt verzetteln könnte.



Ich hätte keine Esskultur, konstatiert G. und stellt mir eine Untertasse für mein Kaffeegedeck hin.

Wie gut, dass wir eine Spülmaschine hatten. Der untere Teil war manchmal zu einem Viertel gefüllt mit Untertassen. Wenn die mal nicht abheben und einem um die Ohren fliegen! Das kann passieren, wenn man zuviel Túnel trinkt, den leckeren mallorquinischen Kräuterlikör. Wir haben eine 0,7 l - Flasche während unseres Aufenthalts geleert. Das ist gerade genug, um einmal täglich eine kleine Inspiration zu beziehen, aber die Untertassen am Boden zu halten.

Bodenständig war auch Antonia. Sie wollte nicht lächeln, sondern nur die Betten machen. Der jeweilige Zeitpunkt ihres Erscheinens war ein Mysterium, das keiner Gesetzmäßigkeit folgte. Dabei fällt mir ein: Die Gesetze, ein schönes Buch von C. Palmen, das ich in der Finca-Bibliothek erstöbert habe. Das erste Kapitel etwas zu langatmig, das letzte irgendwie unbefriedigend, dazwischen das Paradies.

Und sonst? Kater Roig, wohnhaft bei den Tropfsteinhöhlen von Campanet, sollte nicht unerwähnt bleiben. Dieses rotgetigerte Pelztier geht nur vor aufsässigen Kindern durch und ist ansonsten ein gegenüber Fremden sehr aufgeschlossener Zeitgenosse. Sogar noch mehr als die ca. zehn anderen Katzen, die dort leben. Wenn ich etwas Tierisches von Mallorca hätte mitnehmen dürfen, wäre es Kater Roig gewesen.

Den Kater habe ich nicht fotografiert. Dafür aber dieses possierliche Tierchen:



Ich kann verstehen, warum man nach Mallorca zieht. Ich kann auch verstehen, warum man wieder zurück kommt. Unter anderem ist das Essen ist ein guter Grund fürs Zurückkommen. Das einzige, was ich davon vermissen werde, ist die Gazpacho. Und zwar die Billigmarke des Eroski-Supermarktes. Nein, wirklich, dagegen lässt sich nichts einwenden. Endlich weiß ich, wie man Gemüse essen und gleichzeitig auch noch mögen kann. Nächstes Wochenende kaufe ich mir einen Pürierstab. Ganz abenteuerliche Mischungen und Würzungen werden in meiner Küche entstehen, ich seh’s schon vor mir. Immerhin bin ich auch die Erfinderin der Knabberkarotten mit Senf-Dip!

Du musst Liebesromane schreiben, sagt G.

Dies nach der Lektüre eines Manuskripts von mir, das ursprünglich ein Nicht-Liebesroman sein sollte. Ich schreibe ja lieber Nicht. Nicht-Liebesromane, Nicht-Jugendbücher und so weiter. Mit dem Nicht begeistert man selten Verlage, aber ich bin eben eher Nicht.

Deshalb liegt das Nicht in meiner Schublade und wandelt sich manchmal nach Jahren zum Weniger-Nicht. Man soll dem Leser schließlich Perspektiven geben. Und sich selbst.



Am Ende also wird alles gut. Man ist wieder zu Hause und hat gelernt, das Selbstverständliche zu vermissen, weil es woanders nicht selbstverständlich ist. Man hat Nicht zu Weniger-Nicht gemacht und ist sich ein bisschen mehr im Klaren darüber, was man eigentlich möchte.

Und wenn die Sonnenallergie zu schlimm wird, findet man Trost in dem Wissen, dass irgendwo garantiert Schatten ist. Man muss ihn nur finden.