Dienstag, 4. Mai 2021

Als Twitter mich sperrte.


Eine Geschichte vom Verschwinden


Ich bin kein guter Follower. Maximal alle paar Wochen logge ich mich bei Twitter ein und hinterlasse einige Herzchen. Beiträge schreibe ich ungleich seltener. Und so kommt es, dass ich es eine Weile gar nicht bemerke. Wochen, vielleicht sogar Monate. Als ich mich kurz nach dem Jahreswechsel einlogge, finde ich mein Konto gesperrt vor. Meine Timeline kann ich noch sehen. Das Herzchen, das ich setzen will, erscheint - und verschwindet eine Sekunde später wieder. Ebenso das nächste. Ich google und stelle fest: Es gibt mich nicht mehr.




In den für mich einsehbaren kläglichen Überresten meines Accounts finde ich immerhin die Möglichkeit, über meine Sperrung "mehr zu erfahren". Die meisten Accounts würden gesperrt, heißt es da, weil sie spammten oder gefälscht seien. Leider werde manchmal versehentlich ein Account einer wirklichen Person gesperrt. In diesen Fällen arbeite man mit der fraglichen Person zusammen, damit die Sperrung des Accounts wieder aufgehoben werde.

Wie schön, denke ich erleichtert. Als Problemlösung nennt Twitter zwei mögliche Vorgehensweisen. Die erste ist das Ändern des Passworts. Dies könne bei einem gehackten Account zu einer Aufhebung der Sperrung führen. Ich ändere also mein Passwort. Ansonsten ändert sich nichts. Ich bleibe gesperrt.

Die letzte verbliebene Möglichkeit führt über den Button "Contact our support team", wo ich über ein Kontaktformular durch die Einlegung eines Einspruchs die Aufhebung meiner Account-Sperrung beantragen kann. Hier soll ich angeben, warum ich meine, nicht gegen Twitter-Regeln verstoßen zu haben. Ich denke nach. Könnte ich einen Verstoß begangen haben? Ist es bei Twitter womöglich verboten, als Autorin die eigenen Bücher zu bewerben? Es fällt mir schwer, das zu glauben - kenne ich doch hunderte gleichartiger Schriftsteller-Accounts, die keiner Sperrung unterliegen. Was könnte es sonst sein? Ich habe wohl irgendwann einmal Erdogan erwähnt. Auch Putin. Und natürlich Trump. Keinen davon auf schmeichelhafte Weise, aber auch nicht wirklich unangemessen. Könnte das mein Vergehen sein: eine dezente politische Äußerung, ohne jeglichen Aufruf zum Aufruhr? Diese Vorstellung erscheint mir noch erschreckender, geradezu unfassbar. Soll das allen Ernstes mein mich seit zwölf Jahren begleitendes Twitter sein? Die Abschaffung freier Meinungsäußerung, der Untergang der Worte?

Um diesem ungeheuerlichen Verdacht etwas entgegenzusetzen, überlege ich angestrengt weiter: Vielleicht mag Twitter meine Fotos nicht? Die Fotos aus meinen Beiträgen sind nämlich, im Gegensatz zum Geschriebenen, selbst für mich nicht mehr sichtbar, sondern ausgegraut. Sind möglicherweise nicht künstlerisch genug. Oder zu sehr.

An diesem Punkt beende ich meine immer absurderen Überlegungen. Einspruch einlegen, jetzt aber. Ich habe nicht gegen Twitter-Regeln verstoßen. Das wüsste ich.

Nach der Absendung über das Kontaktformular landet eine automatisierte Nachricht von Twitter im Posteingang meines E-Mail-Accounts. Sie enthält eine Ticket-Nummer und fordert mich auf, durch Antwort den Zugriff auf diese von mir angegebene E-Mail-Adresse zu bestätigen; nur dann werde mein Ticket bearbeitet. Ich bestätige umgehend, Zugriff zu haben. Dann warte ich.

Ich bearbeite beruflich selbst Einsprüche. Daher ist mir bewusst, dass der Arbeitsanfall phasenweise hoch sein kann und es mit der Bearbeitung nicht immer zügig geht, vor allem, wenn die Materie schwierig ist. Und hier muss es wohl schwierig sein - kann ich doch selbst nicht nachvollziehen, worin mein Verstoß gegen Twitter-Regeln, den mir gegenüber nie jemand begründet hat, bestehen könnte. Also warte ich brav etwa einen Monat ab, um dann noch einmal auf die Nachricht, der ich bereits damals den Zugriff auf meine E-Mail-Adresse bestätigt hatte, zu antworten. Die Rückmeldung kommt sofort. Eine automatische Antwort-E-Mail, in der mir mitgeteilt wird, dass ich auf ein Ticket antworte, welches bereits geschlossen wurde.

Nein, nicht etwa, weil man meinen Twitter-Account wieder freigeschaltet hat. Er ist weiterhin gesperrt. Ich wiederhole also das Spiel: Einspruch über Kontaktformular, Zugriff auf E-Mail-Adresse bestätigen. Abwarten, diesmal aber nicht ganz so lange, denn ich stelle mir vor, dass das Ticket vermutlich nach einem bestimmten Zeitablauf automatisch geschlossen wird, wenn es niemand bearbeitet. Automatisiert kann Twitter. Besser dieses Mal schon nach zwei Wochen nachfassen.

Als ich das schließlich tue, kommt keine automatisierte Antwort. Juchu, denke ich, noch nicht geschlossen! Eine regelrechte Euphorie überkommt mich: Eventuell hat meine erneute Antwort nun sogar zu einer Verlängerung des möglichen Bearbeitungszeitfensters dieses Tickets geführt. Dies würde mir ungeahnte Möglichkeiten eröffnen, meinen Standpunkt weiter darzulegen und auszubauen. Ich werde in zwei Wochen noch einmal schreiben, nehme ich mir vor, um die erfolgte Verlängerung des Bearbeitungszeitfensters zu verifizieren und eine weitere Verlängerung zu generieren. Tatsächlich gerät mir dabei aus dem Blick, dass bis dahin längst eine Bearbeitung erfolgt sein könnte. Das Ticket muss offen bleiben, hämmert es in meinem Kopf, nur darum geht es jetzt, um jeden Preis.

Zwei Wochen später, nichts ist passiert, ich antworte erneut. Ich habe den längeren Atem, liebes Twitter, du wirst schon sehen!

Zwei Wochen später, nichts ist passiert, ich antworte erneut.

Und tatsächlich... Die Rückmeldung kommt einige Stunden später. Man habe meinen Twitter-Account wieder freigeschaltet. Beim nächsten Mal solle ich aber die Formularseite benutzen, da dieser E-Mail-Account nicht auf Antworten überwacht werde. Äh, Moment mal... Ich sollte doch explizit durch Antwort auf ebendiesen - nicht auf Antworten überwachten - Service-Account meine E-Mail-Adresse bestätigen! Und im Ernst... die Formularseite benutzen? Wo hatte ich denn einige Monate zuvor gegen die Sperrung Einspruch eingelegt? Na? Naaaa? Genau.

Ach, Twitter. Automatisiert kannst du. Die besten Absichten hast du. Aber ein bisschen verpeilt bist du schon.

Montag, 10. Februar 2020

Immer neue Wege zum Meer


Ein Erfahrungsbericht zum Svendborg-Stipendium


Ich sitze am Schreibtisch, an der windigsten Ecke des Hauses, und erahne durch den Regen das Meer. Noch nie habe ich unter solch niedrigen Decken gelebt, das Gehen durch mehrere Zimmer hintereinander, mit eigezogenem Kopf an mancher Schwelle, ist wie ein Tanz. Meine Rückenschmerzen sind weg, liegt es am Tanz, der Luft, dem Sund. Ich finde die Wörter meiner Kindheit wieder, Schmetterlingsschwarm, Brombeerbeute. Ich finde meine Sprache wieder. Oft habe ich das Bedürfnis, die Haustür von innen nicht abzuschließen, und tue es dennoch spätestens in der Abenddämmerung. Beim Zubettgehen lasse ich jedes Mal das Handy auf dem Wohnzimmertisch liegen; lebe hier ohne jede Zeit, so mein Vorsatz. Nachts sind Schritte, wo niemand ist.

Bereits am ersten Tag wollte ich zu Fuß ins Zentrum von Svendborg gehen, erst nach einer Woche komme ich an. Immer neue Wege führen zum Meer, denen ich folge: lebe hier ohne jeden Ort. Als ich endlich eintreffe, finde ich: mein Lieblingscafé unter der Uhr, ein Ort unter ständiger Anwesenheit der Zeit. Ich gebe meine Vorsätze auf, versöhne mich mit Raum und Zeit.

Fast täglich sitze ich auf Jettes Stol am Skovsbostrand. Sid gerne på den til jeg evt. kommet. Ich habe Jette noch nie gesehen, oder womöglich doch, fernab ihres Stuhls, auf irgendeinem Weg, an einer Bushaltestelle, der Bank an einem Bootsanleger; eine junge blonde Frau, die ihren Hund ausführt, oder eine ältere mit grau gelocktem Haar.

Im Garten steht ein Zwetschgenbaum, erzähltest du mir vor der Anreise. Ich suche ihn vergebens, kann nicht glauben, dass er sich innerhalb eines Jahres in Luft aufgelöst haben soll. Stets führt mein Weg nach draußen mich zunächst einmal quer durch den gesamten Garten, ich will den Zwetschgenbaum nicht aufgeben. Ich finde Birnen, die dort sein müssen, natürlich, ohne sie geht es nicht. Ich finde zwei vergessene Äpfel, einen grünen, einen roten, beide nah am Stamm ihres Baumes, versteckt im Blattwerk wie ein eigens für mich aufgespartes Geheimnis. Ich entdecke eine Vielzahl wundervoller Dinge, wie man sie in jenen Gärten aufspürt, die eine neue Heimat werden.

In Hamburg bin ich still geworden, hier werde ich zu jeglichem Wort. Während mein Handy lautlos gestellt im Wohnzimmer liegt, verpasse ich: die andere Welt. Ich rufe zurück, wenn es soweit ist. Denke ich sonst in Minuten und Stunden, sind es nun Tage und Wochen. Soundsolang bis zum Abschluss der Romanüberarbeitung, soundsolang bis zum Ende des Abschnitts. Soundsolang bis zum nächsten Besuch vom Haus nebenan. Mein Takt findet den Takt des Romans, wird eins mit seinem Puls.

Doch etwas fehlt. Ich frage jemanden, der ihn kennen muss, nach dem Zwetschgenbaum. Nie habe es in diesem Garten einen gegeben, lautet die Antwort, die ich schließlich glauben muss, und so höre ich auf, nach ihm zu suchen.

Ein letzter Abschied von Jettes Stol. Ich stelle mir vor, wie sie mir irgendwo auf der Welt begegnen könnte. Sie würde freundlich lächen, sie würde Hej! sagen, niemals wäre sie lautlos, ihr Herz trüge sie in den Augen.

Am Ende bleibt: das Erinnern. An bunte Regenschirme, unter denen ich bei Sonnenschein hindurchging, an die hohe Brücke, unter der ich saß. An eine Vorstellung, wie es hätte sein können, die auch hinter dem Tatsächlichen noch nachklingt. An einen Garten, der eine neue Heimat wurde, und das Café unter der Uhr.
Bis heute fühlt es sich an, als hätte ich etwas Wesentliches vergessen, zurückgelassen; die Umrisse jenes Zwetschgenbaumes, den ich mir vor der Ankunft ausgemalt hatte, weil seine Existenz gesichert schien, ein Anker in der Fremde.
Auch dies: die Zeit. Es dauert mehrere Wochen, einen Roman zu überarbeiten. Es dauert länger, sich daran zu gewöhnen, keine Uhr im Schlafzimmer zu haben.



Donnerstag, 4. Juli 2019

Aufenthalt im Brecht-Haus in Svendborg


Die Hamburger Behörde für Kultur und Medien hat mir das Residenzstipendium 2019 für Hamburger Literaturschaffende im Brecht-Haus in Svendborg (Dänemark) zuerkannt. Dort wird mir, direkt am Skovsbo Strand, ein vierwöchiger Aufenthalt im September ermöglicht.

Ich freue mich auf eine intensive, kreative Zeit und ein produktives Arbeiten abseits des Alltags.




Freitag, 4. Mai 2018

Neue Lesungen


Da die Harburger Auslese im Februar wegen Krankheit kurzfristig abgesagt werden musste, wird sie nun nachgeholt:

28. Mai 2018, 19.30 Uhr
Harburger Auslese
KulturWerkstatt Harburg, Kanalplatz 6, 21079 Hamburg


Außerdem gibt es eine Open-Air-Lesung mit mir (inklusive Ausweichmöglichkeit bei Regen):

08. Juli 2018, 18.00 Uhr
Lesebühne Hamburger Ziegel
Mit Hendrik Rost, Myriam Keil und Frank Schulz
Special guest: Michalis Pantelouris
Magellan-Terrassen, Großer Grasbrook, 20457 Hamburg; bei Regen: HafenCity InfoCenter im Kesselhaus, Am Sandtorkai 30, 20457 Hamburg

Montag, 8. Januar 2018

Lesungen aus "Das Kind im Brunnen"


Die beiden vorerst letzten Lesungen aus meinem Roman "Das Kind im Brunnen" finden im Februar statt:

08. Februar 2018, 19.30 Uhr
Neue Bücher Hamburger Autoren und Autorinnen
Literaturzentrum im Literaturhaus Hamburg, Schwanenwik 38, 22087 Hamburg

26. Februar 2018, 19.30 Uhr
Harburger Auslese
KulturWerkstatt Harburg, Kanalplatz 6, 21079 Hamburg

Beides sind großartige Lesungs(wohlfühl)orte, an denen ich bereits in der Vergangenheit meine Bücher vorstellen durfte. Warum ich mich aber diesmal ganz besonders auf die Lesung im Literaturzentrum freue, werden einzig die dort am 8. Februar anwesenden Zuhörer erfahren! :-)

Dienstag, 31. Oktober 2017

Weblesung "Das Kind im Brunnen"


Ab heute gibt es einen Auszug aus meinem neuen Roman "Das Kind im Brunnen" als Online-Lesung:

http://www.literaturinhamburg.de/img/download/Keil_Myriam_349031371_56.mp3

Montag, 11. September 2017

"Das Kind im Brunnen" ist da!


Wunderschön ist es geworden, innen wie außen!

Der Roman geht nun an die Presse und ist in den kommenden Tagen dann auch in allen Buchhandlungen und als ebook verfügbar.



Sonntag, 27. August 2017

Leseprobe aus "Das Kind im Brunnen"


Inzwischen gibt es auf den Seiten des Septime Verlags eine Leseprobe aus meinem Roman.

Sonntag, 9. Juli 2017

"Text des Tages" bei Fixpoetry


Meine Kurzgeschichte "In kleinen Schlucken" ist gerade im Hamburger Ziegel 15 erschienen.

Einen Auszug aus der Geschichte gibt es online zu lesen - als heutiger "Text des Tages" bei Fixpoetry:
https://www.fixpoetry.com/texte/text-des-tages/myriam-keil/in-kleinen-schlucken

Dienstag, 23. Mai 2017

Das Kind im Brunnen


Am 11. September 2017 erscheint mein Roman "Das Kind im Brunnen" im Septime Verlag.

Eine kurze Info über den Inhalt und demnächst auch eine Leseprobe gibt es --> hier.



Dienstag, 8. November 2016

Es ist still geworden.


Das Leben ist mehr als Literatur. Und doch wächst sie im Verborgenen, um eines Tages zu erscheinen. Das dauert gar nicht mehr so furchtbar lange. Auch wenn vorher noch anderes passiert.

Bis dahin bleibt es hier still. Heute ist im Hamburger Winter der erste Schnee gefallen. Er blieb nur liegen auf den Dingen, die kalt genug waren. Weniges ist kalt genug, wenn der Puls hoch ist und man trotzdem still bleibt. Das Leben ist mehr als Literatur.

Dienstag, 14. April 2015

Über Beinfreiheit, Respekt und Eier


Wer diesen Blog verfolgt, weiß, dass die öffentlichen Verkehrsmittel ein immer wieder gerne thematisiertes Feld darstellen. Nach meinen gestrigen Erfahrungen in der Hamburger U-Bahn-Linie U1 bin ich geneigt zu sagen: Schlachtfeld. Ich bekam einen Tritt gegen das Schienbein und konnte nur knapp einem beherzten Schlag ausweichen. Wohlgemerkt: Die körperlichen Zuwendungen kamen von unterschiedlichen Personen. In unterschiedlichen Wagons. Ohne jeden Zusammenhang. Jedoch innerhalb eines Zeitraums von nur wenigen Minuten.

Es ist gegen 19.30 Uhr, ich steige am Hauptbahnhof in die U1 Richtung Hamburg-Wandsbek. Die Hochbahn hat eines der alten Zugmodelle eingesetzt - das mit den wenigen Sitzen und den zuknallenden Türen, dessen Einfahren die Leute am Bahnsteig gerne zum Verdrehen der Augen oder zum leisen Seufzen animiert. Es sind sechs Haltestellen bis zu meinem Ziel, die planmäßige Fahrzeit für diese Strecke beträgt neun Minuten. Vor mir steigt ein dunkelhäutiger Mann um die dreißig ein, der sich wie ich in den kleineren Sitzbereich nach links begibt; dort befindet sich am Ende des Wagens eine komplett durchgehende Bank, dieser gegenüber ein Einzelplatz sowie eine Zweierbank. Der Mann wählt den Einzelplatz. Ich setze mich auf die durchgängige Bank, auf den Platz, der als einziger keinen gegenüberliegenden Sitz hat. Ich mag Beinfreiheit.
Der Mann ebenfalls, wie ich bald feststellen werde. Noch während er sich hinsetzt, murmelt er etwas, anscheinend zu der jungen, leicht überschminkten Frau ihm gegenüber (also neben mir). Sie fragt höflich nach. Zurück kommt wieder nur ein unverständliches Murmeln. Es bleibt jedoch nicht lange so ruhig. Ihre Sitzhaltung - übereinandergeschlagene Beine - behält sie bei, was den Mann dazu veranlasst, eine Haltestelle weiter einen lauteren Ton anzuschlagen.
"Können Sie vielleicht mal die Beine nebeneinander stellen und aufhören, mir mit den Schuhen meine Hose dreckig zu machen?"
"Nö, kann ich nicht. Ich sitz hier ganz normal."
"Nimm das Bein runter!"
"Ich war zuerst da. Du kannst ja die Beine anziehen."
"Ich will mich aber normal hinsetzen. Mach jetzt Platz hier!"
"Bla, bla, ich hör dich gar nich. Sprich mit meinen Händen!"
Das tut der Mann nicht, er spricht lieber mit ihren störenden Beinen, indem er kräftig dagegen tritt.
"Ey, spinnst du? Hast du kein' Respekt gelernt?"
Es folgen lautstarke gegenseitige Beschimpfungen, gepaart mit weiteren Tritten von beiden Seiten, von denen auch ich einen abbekomme.
Nach drei der sechs Haltestellen meiner Fahrt beschließe ich, den Wagen zu wechseln. Ich habe neun Stunden Arbeit hinter mir, ich bin müde und möchte nicht mitspielen.
"Ich will mich frei fühlen!", höre ich den Mann rufen, als ich den Wagen verlasse. Das klingt ein bisschen schön und ein bisschen traurig.

Ich befinde mich nun im allerersten Wagen des Zuges. Bis zur nächsten Haltestelle bleibt es ruhig. Dort schließen sich die Türen der U-Bahn, doch vor dem Anfahren hämmert eine blonde Frau, vermutlich in den Vierzigern, von außen dagegen. Der Fahrer macht mehrfach die Durchsage, man solle vom Zug zurückbleiben. Doch das kümmert die Frau nicht, sie ist viel zu beschäftigt damit, einen (der Optik nach möglicherweise türkischstämmigen) Fahrgast hinter der Tür anzubrüllen, mit üblen Schimpfworten zu belegen und ihm durch die Scheibe den Mittelfinger zu zeigen. Das Arschloch solle sie gefälligst reinlassen. Der Angesprochene ignoriert die Frau. Und er könnte auch gar nichts tun, selbst wenn er wollte, denn die Türen sind längst vom Fahrer verriegelt worden, man kommt nicht mehr raus oder rein. Ach ja, der Fahrer... der macht nun gleich mehrere Fehler: Er öffnet die Tür seiner Kabine zum Bahnsteig hin. Die Frau lässt daraufhin von dem unerreichbaren Fahrgast ab und schießt auf den Fahrer zu, der sich, obwohl er auch noch von ihr angepflaumt wird, breitschlagen lässt, die Türen nochmal zu öffnen und die Verrückte mitzunehmen. Vielen Fahrgästen steht die Verständnislosigkeit über diese Entscheidung ins Gesicht geschrieben. Die Frau poltert in den ersten Wagon. Sie führt ein winziges, verängstigt dreinschauendes Hündchen mit sich und brüllt nun wieder mit allem, was ihre rauchige Stimme mit ausländischem Akzent hergibt, den verhassten Fahrgast an.
Der Fahrer öffnet jetzt die Tür seiner Kabine zum Innenbereich des Wagons.
"Ich habe Sie extra noch reingelassen, jetzt verhalten Sie sich auch ruhig."
Das tut die Frau exakt so lange, bis er losgefahren ist. Dann brüllt sie weiter, setzt sich breitbeinig einem (der Optik nach auch wieder möglicherweise türkischstämmigen) Fahrgast gegenüber, dem sie ihr Hündchen zwischen die Füße schiebt. Sie selbst mag, es ist nicht zu übersehen, Beinfreiheit. Der unfreiwillige Hundesitter wagt nur ganz vorsichtig mit Gesten anzudeuten, dass das Tier da doch irgendwie nicht hingehört.
"Scheiß Ausländer", überschlägt sich ihre Stimme,"ihr seid alle gleich!"
Ihre Aufmerksamkeit verteilt sich ab jetzt gerecht auf beide möglicherweise türkischstämmigen Fahrgäste. Die beiden Männer trennen gut zwei Meter, der eine sitzt, der andere steht, die Frau befindet sich dazwischen, mal sitzend den einen anschreiend, mal aufstehend dem anderen Schläge androhend. Und ich habe auch in diesem Wagen wieder den falschen Sitzbereich gewählt. Ihr Arm verfehlt mich bei einem ihrer angedeuteten Schläge nur knapp.
"In meinem Land lässt man keine Frau mit Hund vor der Tür stehen!", schreit sie den Stehenden an. "Du blöder Wichser!", bekommt der Sitzende zu hören. "Alles total verkommen in diesem Land! Dreckspack!"
Ihr Hündchen kauert derweil mucksmäuschenstill zwischen fremden, möglicherweise türkischstämmigen Beinen und ist dort vermutlich besser aufgehoben als zwischen ihren eigenen, mit denen sie in ihrem Zorn unaufhörlich die wildesten Bewegungen vollführt. Wenn das Tier sie verstehen könnte, würde es sich womöglich fragen, warum sie es nicht in ihr schönes Land mitnimmt, in dem man Frauen mit Hunden nicht vor der Tür stehenlässt und wo es wahrscheinlich auch Bäume gibt, an denen Hundeleckerlis wachsen.

Meine Neun-Minuten-Fahrt in zwei Wagen der U1 geht zu Ende. Ich bin bereits aus der Tür, als ich an der Haltestelle Wandsbek Markt die letzten gebrüllten Worte der Frau vernehme:
"Hast du keine Eier?! Geh Sport machen!"


Hinweis: Etwaige politisch inkorrekte Formulierungen in diesem Eintrag sind entweder beabsichtigt oder der Verfasserin schlichtweg egal. Sie lehnt die sprachliche Gängelung durch vorgegebene (vermeintlich) politisch korrekte Begrifflichkeiten ebenso ab wie durch das Gendering.

Montag, 26. Januar 2015

Jubiläumslesung im Literaturhaus


Wir feiern gerne. Jährlich, und am liebsten Außergewöhnliches. Deshalb veranstaltet das Forum Hamburger Autorinnen und Autoren anlässlich seines 25-jährigen Bestehens eine ganz besondere Jahreslesung. Anders als sonst wird diese nicht im Kulturhaus Eppendorf stattfinden, sondern im Literaturhaus Hamburg.

Dienstag, 03.03.2015, 19.30 Uhr

25 Jahre Forum Hamburger Autorinnen und Autoren
Lesung im Literaturhaus Hamburg
inkl. Präsentation der Anthologie "Aufgeräumt - 25 Jahre Forum Hamburger Autorinnen und Autoren" (Textem Verlag 2015)
Es lesen Sigrid Behrens, Martin Felder, Jonis Hartmann, Nathalie Keigel, Myriam Keil, Sascha Preiss, Maja Rettig, Inga Sawade, Tanja Schwarz und Silke Stamm.

http://www.literaturhaus-hamburg.de/programm/veranstaltungen/2015-03-03/25-jahre-forum-hamburger-autorinnen-und-autoren



Dienstag, 30. September 2014

Nichtgedichte


Als ich das allerletzte Gedicht meines Lebens schrieb, war ich mir dessen sehr bewusst. Es war im November 2012, es war für Katrin Seddig, es war das letzte Gedicht für meinen Lyrikband "dezimierung der einmachgläser". Und eben das allerletzte Gedicht meines Lebens. Denn jenen Lyrikband hatte ich zu einer Zeit begonnen, als ich noch glaubte, dass Lyrik mir etwas bedeuten müsste, da sie mich immerhin umgab und da immerhin Menschen etwas an meiner Lyrik fanden; etwas, das ich selbst nie an ihr finden konnte, so sehr ich auch danach suchte. Ich beendete diesen Band, weil ich gerne Dinge zu Ende bringe. Ich beendete ihn im November 2012, ich hielt ihn in der Hand im März 2013, ich las das letzte Gedicht meines Lebens und fand es seltsam, wie es da so selbstverständlich auf Seite 9 stand, obwohl es doch das allerletzte Gedicht meines Lebens war.

Es kommt bisweilen noch vor, dass ich Worte finde, die sich aneinanderreihen und die früher zum Gedicht geworden wären, sich mehr als nur ein paar weitere Wort-Begleiter gesucht hätten. Heute tun sie das nicht mehr. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sind nicht mehr als ein Gedanke, der sich nicht wegbewegt in die Furcht vor sich selbst oder in Abwägungen. Sie halten still in ihrem Moment.

Unter dem Hashtag #nichtgedicht finden sie sich auf meinem Twitter-Account.

Donnerstag, 5. Juni 2014

"ein platz am fenster" zum Sonderpreis


Der fza-verlag wird zum 01.07. an den FZA Verein zur Förderung von Kultur, Kunst und Wissenschaft übertragen und führt daher einen Bücherabverkauf durch. Unter anderem kann mein Gedichtband "ein platz am fenster" zum Sonderpreis von 5,90 € erworben werden. Derzeit sind noch 10 Restexemplare verfügbar.

Bestellungen sind beim Verlag unter bestellung@fza.or.at möglich.

Donnerstag, 12. Dezember 2013

Jahreskarte





Montag, 25. November 2013

Jahreslesung 2013


Am ersten Freitag im Dezember findet die Jahreslesung des Forums Hamburger Autoren statt. Nachdem ich letztes Jahr ausgesetzt habe, bin ich diesmal wieder unter den Lesenden. Außerdem gibt es Texte von Sigrid Behrens, Karen Köhler, Tanja Schwarz, Oskar Sodux und Silke Stamm.

Statt unseres üblichen Jahrbuchs haben wir uns mal etwas anderes einfallen lassen: Ein Päckchen mit "Jahreskarten" - mehr wird noch nicht verraten. Auch die Einzelpublikationen der Forumsmitglieder liegen natürlich wieder auf dem Büchertisch und können erstanden werden.

Die Jahreslesung findet am Freitag, den 6. Dezember (20 Uhr) im Kulturhaus Eppendorf statt. Der Eintritt beträgt 5,- Euro, und nach der Lesung warten wie immer zwei leckere Suppen auf die Zuhörer, sodass niemand hungrig nach Hause gehen muss.

Montag, 18. November 2013

"Herr Busfahrer, greifen Sie doch mal ein!"


Viele Leute sitzen lieber im Bus als zu stehen. Manche sogar um jeden Preis.

In den Hamburger Buslinien 9 und 262 in Richtung Wandsbek Markt gibt es fast nie einen Sitzplatz, wenn ich an der drittletzten Haltestelle zusteige. Häufig fährt der Bus inzwischen sogar ohne anzuhalten an mir vorbei, weil er überfüllt ist. Heute Morgen, um Viertel nach neun, gab es im 262er mit viel Gequetsche gerade noch ein paar letzte Stehplätze. An der Haltestelle Holzmühlenstraße stieg unter anderem ein Mann zu, der an Krücken ging und einen Schwerbehindertenausweis vorzeigte, mit dem er hoffte, den für solche Fälle vorgesehenen Sitzplatz direkt hinter dem Fahrer freigemacht zu bekommen. Doch die Platzinhaberin (ohne Schwerbehindertenausweis und ohne offensichtliches gesundheitliches Problem) verweigerte hartnäckig das Aufstehen.

Während der Busfahrer seine Verspätung aufzuholen versuchte, indem er bereits losfuhr, als er noch Fahrkarten an zugestiegene Fahrgäste ausdruckte, entwickelte sich ein lautes Streitgespräch zwischen der Sitzplatzinhaberin und einigen stehenden Fahrgästen. "Herr Busfahrer, greifen Sie doch mal ein!", verlangte die Wortführerin der Stehenden schließlich. Nach einer kleinen Unmutsäußerung tat dies der lenkende und zugleich Fahrkarten ausgebende Busfahrer. Wenn jemand einen Schwerbehindertenausweis habe, rief er nach hinten, solle man demjenigen den Platz freimachen. Der Mann mit den Krücken schwankte derweil bedrohlich hin und her und wurde - da hatte die Enge im Bus mal ihr Gutes - hauptsächlich durch die umstehenden Fahrgäste aufrecht gehalten.

Doch selbst nach der Ansage des Busfahrers weigerte sich die Sitzende, ihren Platz freizugeben. Sie sei auch krank, habe "Probleme mit Lunge, mit Herz, mit allem" und bekäme bald ebenfalls einen Schwerbehindertenausweis. Abnehmen wollte ihr das keiner so recht. "Selbst wenn", brachte es die Wortführerin auf den Punkt, "jetzt haben Sie keinen". Es fehlte nicht viel, und einige hätten die behauptete Kranke gewaltsam vom Sitz gezerrt. Zumindest die Probleme mit der Lunge waren bei ihrem stimmgewaltigen Gekeife aber auch schwer nachzuvollziehen. Und für ihr Herz wäre es vermutlich besser gewesen, die Streiterei bleiben zu lassen. Vielleicht auch, acht bis zehn Kilo abzunehmen.

Irgendwann gab man es auf, die Frau von ihrem Sitzplatz vertreiben zu wollen. Ein anderer Fahrgast machte seinen Platz für den Mann frei.

Ich habe in den völlig überfüllten Bussen in Richtung Wandsbek Markt schon einiges an Aggressionen miterlebt. Immer wieder einmal kommt es vor, dass sich der halbe Bus an irgendeiner Sache hochschaukelt. Aber wen wundert es, dass bei der herrschenden Enge die Fetzen fliegen und jemand Federn lassen muss: Kleingruppenhaltung.

An dieser Stelle mal ein Tipp an den HVV: Die Busfahrpläne an die in den letzten Jahren rasant angestiegenen Fahrgastzahlen anzupassen, würde zwar nicht gegen die Engstirnigkeit mancher Menschen helfen, könnte aber so einigen Situationen die Schärfe nehmen.

Donnerstag, 1. August 2013

Weichspülerfrösche


Früher war die TV-Werbung zwar auch nicht unbedingt besser als heute, aber immerhin eingängiger. Da gab es in unverdünntem Geschirrspülmittel badende Hände, in Milch schwimmende Schokoriegel, und die Ergiebigkeit des Weißen Riesen wurde anhand schneeweißer Bettlaken demonstriert, die an endlos langen Wäscheleinen über grüne Wiesen flatterten. Das versteht man. Das behält man im Kopf. Und dass die dazugehörigen Werbetexte in korrektem Hochdeutsch formuliert daherkamen, war eigentlich nur eine nette Beigabe.

Heute fehlen sie meist, die eingängigen Bilder. Was aber noch viel schlimmer ist, man muss die Texte erst einmal übersetzen. Englisch, das keines ist, stellt hierbei noch das geringste Problem dar, deshalb will ich darauf auch gar nicht näher eingehen. Viel gravierender verhält es sich nämlich im Bereich der deutschen Sprache. Dass "so 'ne fettige Fanne" niemand freiwillig spült, ist kein Wunder. Wenn die Muskulatur im Mund schon derart träge ist, dass sie kein 'Pf' mehr artikulieren kann, wie muss es dann erst um die Hände bestellt sein!

Dramatisch für das beworbene Produkt wird es allerdings, wenn die schludrige Aussprache kontraproduktiv zur beabsichtigten Werbewirkung ist. Wer möchte denn bitteschön, wie Spee es propagiert, jede Menge "Weichspülerfrösche" in seiner Wäsche haben? Da kommen Bilder auf, die schon einen gewissen Ekelfaktor haben.

Ach, übrigens... Dove ist jetzt ganz toll, denn "es enthält Deep Care Complex". Mein erster Gedanke war: Da fehlt doch Artikel, oder? Wenn Dove den oder einen Deep-Care-Complex enthielte, könnte ich damit leben. Aber kann etwas Komplex enthalten? Wenn das stimmt, kriege ich Komplexe.

Doch der gewiefte Leser hat es sicher längst bemerkt: Diese Art der Werbung hat bei mir zweifelsohne ihr (hinter)listiges Ziel erreicht. Pril, Spee und Dove sind in meinem Kopf - und dort nicht mehr wegzudenken. Eine seltsame Aussprache, ein fehlendes Wörtchen im Text, und schon horche ich auf. Wenn dieses Prinzip erst mal die Süßwarenhersteller spitzkriegen, wird es gefährlich. Bei Süßkram kaufe ich nämlich, im Gegensatz zu Waschmittel, Spülmittel und Körperpflegeprodukten, oftmals mehr als nur eine Packung auf Vorrat.

Mittwoch, 26. Juni 2013

Neue Autorenfotos