Donnerstag, 31. Dezember 2009

Vom Flimmern, Zwitschern und Präsenz zeigen


Habe ich was vergessen? Oder mit meinen Accounts bei MySpace, Facebook, Flickr und Twitter die volle Palette abgedeckt? Ist eigentlich gar nicht wichtig, denn da guckt sowieso kaum einer drauf. Also, nur die Leute, die man eh schon kennt, weil sie auch omnipräsent im www sind. Was nett ist, weil man jedem von ihnen wünschen kann, dass 2010 weniger beschissen wird als 2009, und das alles mit einem einzigen Posting.

Tja. Ich gehe jetzt ins Kino. Da lernt man, dass man als Schriftsteller seine genialen Manuskripte besser nicht irgendwo rumliegen lässt ("Lila Lila"). Und das Schönste daran: Der Kinogang ist fast gänzlich ohne Twitteroption - wenn ich mal so tue, als hätte ich mein Handy nicht dabei, und darin bin ich echt gut.

Happy New Year!
Stimmung: erwartungsvoll / schuldig / wie ein Frosch. Sucht euch was aus.

Samstag, 21. November 2009

Jubiläum des Forums Hamburger Autoren


Das Forum Hamburger Autoren hat nun satte zwanzig Jahre auf dem Buckel. Ich bin erst seit zwei Jahren mit von der Partie, aber immerhin war ich ja auch erst elf, als das Forum gegründet wurde, und außerdem noch so weit von Hamburg entfernt wie das Strohhutfest von der Herbertstraße.

Bei der Jahreslesung des Forums am 4. Dezember im Kulturhaus Eppendorf bin ich dieses Mal nicht dabei (bzw. nur als Zuhörerin). Aber wenn ich schon nicht mit der Stimme teilnehme, dann doch in jedem Fall auf dem Papier, und deshalb bin ich mit zum Teil unveröffentlichten Gedichten im 20. Jahrbuch des Forums vertreten, das pünktlich zur Lesung im Textem Verlag erscheint.



Schreiben, das geht, aber Lesen, das halte ich nicht aus
Forum Hamburger Autoren: 20. Jahrbuch

128 Seiten, 7 Euro,
ISBN 978-3-941613-10-2,
Textem Verlag 2009


Freitag, 6. November 2009

Textproben auf meiner Homepage


In der letzten Zeit erhielt ich von einigen Besuchern meiner Homepage Anfragen nach Textproben. Nun habe ich die Seite umgestaltet, um diesem Wunsch nachzukommen. Die Textproben sind jetzt als eigener Menüpunkt vertreten. Die Homepage enthielt zwar schon vorher Lese- und Hörproben, sie waren aber wohl so gut versteckt, dass sie nur selten gefunden wurden.

Freitag, 23. Oktober 2009

Lyrik & Bienen


Kürzlich gab es bei Facebook eine Diskussion, in der es um den Eindruck ging, dass in aktueller Lyrik auffallend häufig Bienen thematisiert werden. Dies habe ich zum Anlass genommen, meine eigenen Gedichte auf Tiervorkommen zu überprüfen. Bienen gibt es keine, Wespen als weitere Schwarz-Gelb-Variante auch nicht. Aber eine Menge anderes Getier:

Fische (Anzahl offen)
Milben (Anzahl offen)
1 Regenpfeifer
2 Hunde
1 Hirschbock
Stare (Anzahl offen)
1 Kakerlake
Silberfische (Anzahl offen)
Bachforellen (Anzahl offen)
1 Hahn
3 Katzen
1 Vogel
1 Fliege
Wildschweine (Anzahl offen)
Grillen (Anzahl offen)
Stichlinge (Anzahl offen)
1 Spinne
Hyänen (Anzahl offen)
Möwen (Anzahl offen)
1 Clownfisch
1 Kuckuck (zählt eigentlich nicht, weil das Pfandsiegel gemeint ist)
Käfer (Anzahl offen)
sowie 1 nicht näher spezifiziertes Haustier

Und das ganze Viechzeug stammt allein aus dem Manuskript, an dem ich gerade arbeite und das aktuell ca. 50 Gedichte umfasst. Meinen Lyrikband aus 2007 habe ich nicht dahingehend durchgesehen. Das wäre evtl. eine Fortsetzung wert...

Donnerstag, 1. Oktober 2009

Lyrik-Medley ohne xy


Ein Querschnitt aus 22 meiner Gedichte. Um den "Lyrikbrocken" alle Ehre zu machen. Manchmal mag ich Unzusammenhängendes.

( Kommentare mit Lyrik-Medleys aus euren eigenen Gedichten fände ich spannend! )


* * * Lyrik-Medley ohne xy * * *


an den bahnsteigen die schwellen gezählt / bis keiner mehr das wetter verstand

berlin oder sonstwo: die parasitären milben / im haarbalg deiner wimpern versteckt

clownfisch / oder der schnelle schritt von uns beiden / wenn ich nicht mehr sprechen konnte

dort schwimmen die papierschiffe / nie hinaus, egal wo du sie absetzt

es riecht / nach unbenutzten küchenzeilen

färbe die bäuche der stichlinge ohne sie / zu berühren

gescheitelt / die köpfe der nelken laien / darsteller vor der premiere

herz / kranzgefäße, denkt einer und fällt / in den langsamen schritt der besorgten

in meinem mund der fremde geschmack / beim spähen nach dem fernsehturm

jemand hat / gezögert beim bolzenschuss, den letzten / fertigkuchen vom stapel genommen

kontrolliertes atmen und niemals / liegen bleiben wenn man stürzt

letzte nacht ich könnte schwören / ist’s gesickert aus diversen löchern / allen öffnungen

man trägt sein kapital zur schau / wo die schilderwälder des coffee to go / den blick versperren auf den dom

neben dir mit falschem / lidschatten die frau / geht zwei meter landauswärts

ohne wechselkleidung / in der hinterhand

panorama lichtorgel / zur festgelegten stunde ein scharf gesetzter / fingerzeig im rücken diese mondläufige / krankheit

quillt am tisch vorbei ich habe nicht / sagst du ich habe wirklich nicht gewusst / wie es sich tanzen könnte ohne schuhe

rufst dann / nach den bordsteinen im gepäck

seit letzter woche köderst du im bad / die silberfische, lässt den baum wachsen / vorm schlafzimmerfenster, südbalkon

teilzeitblicke von hellen müttern / im plisseerock zwei ketten ein schuss / ohnmacht

unter der zunge / der geschmack von humus, das knirschen / fremder schritte

vor allem aber / diese runden diese kahlen tische / unverrückt vorm fenster und der sand / der sonntags sich in alle schuhe schleicht

wie mit der zunge nachgezeichnet / spuren von verirrten käfern wenn sie / farben wären

zählst du die menschen die größer sind / als eine handvoll münzen

Montag, 21. September 2009

archivbild IV


was überdauert die kastanienbäume
säumen alleen mit angeschlossenen
bildsequenzen häuser vorgärten
kinderspielzeug hinter den fenstern
kaltschaum gepresst in die sitze
der couchgarnituren eine haltbarkeit
ohne garantie geräuschvarianten
von luft in eingerenkten zimmern
und licht gebrochen von den maschen
der zäune gedachte wälder vielleicht

Montag, 10. August 2009

Mainzer Kulturtelefon - Podcast


Inzwischen gibt es meinen Beitrag auch online:

http://www.mainzer-kulturtelefon.de/2009/myriam-keil

Donnerstag, 6. August 2009

Pünktchen und die Ostsee-Urlauber


Im vergangenen Jahr war das Geschrei noch groß: Die vor Jahren durch Touristen eingeschleppten asiatischen Marienkäfer vermehren sich ungebremst und fressen ihre hier einheimischen Verwandten! Bald wird es keine echten Marienkäfer mehr geben! Dabei sind die doch so schön und haben so akkurat abgezirkelte runde Punkte, nicht so hässlich ausgefranste wie die Asiaten. Im Fernsehen liefen Reportagen, in denen Hausbesitzer auf dem Land ihre Fenster öffneten und anklagend auf die an den Gummidichtungen hockenden gepunkteten Einwanderer deuteten.

Und jetzt? Das Blatt hat sich gewendet. Dieses Jahr zeigt RTL mit Wonne Berichte über Urlauber an der Ostsee, die von Tausenden und Abertausenden unserer lieben einheimischen(!) Marienkäfer heimgesucht werden. Selbige werden mal eben schnell vom Betreiber einer Gaststätte mit Handbesen und Schaufel eingesammelt, und was im Anschluss mit ihnen passiert, verschweigt RTL dem zart besaiteten Zuschauer. Natürlich kommen auch die Urlauber zu Wort. Wir erfahren von einer käfererprobten Dame, dass die Plagegeister "so ein gelbes Zeug absondern, das auf der Haut brennt". (Und ich dachte immer, das Brennen käme davon, dass die Biester gern mal zwicken, und das gelbe Zeug sei nur...naja, was gelbes Zeug, das Käfer aus Körperöffnungen ablassen, halt so ist.)

Aber nicht nur an der Ostsee tummeln sich die roten Gesellen mit den schwarzen Punkten dieses Jahr en masse. Auch in Hamburg bekommt man einen kleinen Eindruck davon, dass in diesem Sommer alles anders ist. Zwar braucht man hier keinen Handbesen, aber man muss stehen bleiben. Jawohl, stehen bleiben. Mehrmals täglich kommt man in Situationen, wo ein planlos durch die Gegend surrendes Marienkäferchen die Vorfahrt missachtet und einen zum Stehenbleiben nötigt – es sei denn, man gehört zu den ganz Hartgesottenen, die einen Zusammenstoß an Stirn, Augenlid oder Mund nicht scheuen (so niedlich sie auch am Finger empor krabbeln mögen, so gruselig fühlen sie sich beim Anrempeln im Flug an). Da wünscht man sich doch die asiatischen Krabbeltierchen zurück. Die hielten sich für gewöhnlich dezent zurück, Handbesen und Mundschutz konnte man sich sparen. Wobei der Mundschutz in diesen Tagen vielleicht nicht das Schlechteste ist, aber das ist wieder ein anderes tierisches Thema.

Ach ja: Heute morgen habe ich im Bus einen Marienkäfer gesehen. Er war total klein, gelb und hatte unheimlich viele schwarze Punkte. Er sah schon ein bisschen mitleiderregend aus. Du wärst jetzt bestimmt gern an der Ostsee, habe ich gedacht. Aber weißt du was? Dieses Jahr wird das nix mehr. Ich fahre dann vielleicht nächstes Jahr hin. Du wohl eher nicht. Wandsbek Markt ist Endhaltestelle, und so wie du ausschaust, vergisst du bestimmt das Aussteigen.

Montag, 3. August 2009

archivbild III


neue räume fordern klingel
schilder und briefkästen
mit den namen dieser und
jener person die man einmal
ansprechen wird neulich
sagt man und haben sie schon
gehört im hausflur immer
dieser kinderwagen aber die
fahrräder sind noch schlimmer
und stellen sie sich mal vor


© Horlemann Verlag, 2013

Donnerstag, 16. Juli 2009

Mainzer Kulturtelefon


Ab nächstem Mittwoch gibt es beim Mainzer Kulturtelefon einen Auszug aus meiner Erzählung "Sonntags". Er ist vom 22.07. - 04.08. unter der Telefonnummer (06131)693944 zu hören.

Und für diejenigen, die lieber eine Maus in der Hand als einen Hörer am Ohr haben: Unter www.mainzer-kulturtelefon.de ist der Beitrag dann später als Podcast nachzuhören.

Montag, 6. Juli 2009

Roman - Miniauszug III


"Was das Mädel sich dabei wohl denkt. Stell dir mal vor, ich würde sowas als Lehrerin machen." Heike grinst.
Theo will es sich nicht vorstellen. Trotzdem kann er nicht verhindern, dass es passiert. Heike ist fast zehn Jahre älter als er und ziemlich rundlich, und nun sieht er diese rundliche Frau um die Vierzig, wie sie am Lehrerpult sitzt und schaukelt, hin und her rutscht, den Mund leicht geöffnet...
"Du sollst es dir nicht wirklich vorstellen!", schimpft Heike.
"Hab ich doch gar nicht", beteuert Theo und läuft rot an.
Walter betritt das Lehrerzimmer und marschiert schnurstracks zur Kaffeemaschine, nimmt einen der Becher, schenkt ein. Noch bevor er sich setzt, trinkt er und verbrennt sich die Zunge. Walter verbrennt sich ständig die Zunge am heißen Kaffee, aber lernen tut er nicht daraus. Jedes Mal dasselbe Spiel. Er schafft es nicht einmal, die Kollegen zu grüßen, bevor seine Zunge mit dem braunen Gebräu in Kontakt gekommen ist. Walter ist ein Kaffeejunkie, zwei Schulstunden ohne Kaffee sind für ihn wahrscheinlich so schlimm wie für Lara zwei Stunden ohne die Schaukelei.
"Na?", sagt Walter.
"Alles klar?", sagt Heike.
Walter zutzelt an seiner verbrannten Zungenspitze herum. Theo findet das Geräusch irgendwie schön, obwohl er sich nicht vorstellen will, wie es zustande kommt, in Walters Mund, mit der geröteten Zungenspitze am Gaumen, an den kaffeefleckigen Zähnen, inmitten von bräunlicher Spucke.

- aus einem aktuellen Romanprojekt -

Montag, 29. Juni 2009

archivbild II


der automat sperrt erneut
die immer letzte zigarette
detoniert im kopf fängt sich
rauch im parkverbot zittert
der betonfuß tieffrequente
bässe aus dem innenraum
eines faradayschen käfigs
und rhythmus löst sich auf
kehrt wieder jemand lacht
verdreht im rückwärtsgang


© Horlemann Verlag, 2013

Sonntag, 21. Juni 2009

Holzauge, sei wachsam!


Immer wieder erfrischend: die Fotos, die in Macondo erscheinen und die Texte so schön aufpeppen. Zum Beispiel bei einer Erzählung von mir:



Von wem dieses Foto ist, weiß ich leider noch nicht. Aber bald. Die neue Macondo mit dem Thema "Augenblick" ist ab 25. Juni deutschlandweit im Zeitschriftenhandel erhältlich.

NACHTRAG: Das Foto ist übrigens von Marlene Sophie Deines.

Sonntag, 31. Mai 2009

Roman - Miniauszug II


Wenig später steht Brigitte auf einem überdachten Bahnsteigabschnitt und sieht ein Stück weiter links den milchigtrüben Himmel. Es soll bislang der wärmste Januar seit Beginn der Wetteraufzeichnungen sein, hat sie vorhin im Radio gehört, während Dennis ihr von dem Roller erzählt hat, den er unbedingt haben muss. Dieser Himmel dort links. Dieses grelle Milchkleid, durchzogen von Drähten. Ein Ausschnitt der Stadt, repräsentativ, denkt Brigitte, so ist das. Weiter hinten eine Brücke, einige Hochhäuser, dann verliert sich die Spur. Um Brigitte drängen sich mehr und mehr Menschen, die S-Bahn hat Verspätung, mal wieder. Warum habe ich nicht das Auto genommen. Ein Mann stellt sich links neben sie, verdeckt den größten Teil des Himmelausschnitts. Der Mann riecht nach Zigaretten und Erkältung. Der wärmste Januar seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.
Die S-Bahn fährt ein, Brigitte kommt fast nicht mit, dann geht es doch, eingeklemmt zwischen noch mehr Leuten mit Zigaretten- und Erkältungsgeruch, auch Kaffee ist dabei und Schlaf. Der Schlafgeruch ist der schlimmste, er kommt von denen, die heute noch keine Zähne geputzt haben und ist eine Mischung aus Erkältung und Tod.

- aus einem aktuellen Romanprojekt -

Freitag, 22. Mai 2009

Himmelfahrt im Taxi


Die Hamburger Straßen waren in der Nacht des Vatertags erstaunlich leer. Wobei, so erstaunlich ist es wohl nicht; die Väter und Väter in spe lagen wahrscheinlich betrunken unter den Tischen der zahlreichen Lokalitäten, da bleibt natürlich nicht viel über an Menschlein, die den Straßenverkehr unsicher machen könnten.
Und ich hatte in dieser Nacht meine erste weibliche Taxifahrerin. Die hat eine Menge erzählt, und natürlich: Die Krise ist hier ja noch gar nicht angekommen. Welche Krise? Ach so. (Man sehe es mir nach, ich bin Bundesbeamtin - ich erst Krise, wenn Staat pleite.)
Ja, die Leute fahren noch Taxi und die Beamten sind noch nicht betriebsbedingt gekündigt. Und obwohl ich gute fünf Stunden später schon wieder aufstehen und arbeiten musste (bei ihr war’s wohl umgekehrt), war ich ganz erfreut über meine erste Taxifahrerin, die gar nicht wie eine Taxifahrerin aussah. Eher wie die Verkäuferin im Biomarkt.
Das vegetarische Restaurant, das sie mir empfohlen hat, sollte ich vielleicht mal ausprobieren.

Freitag, 15. Mai 2009

In eigener Sache


Tja, da heißt dieser Blog nun "wechselnde wohnsitze". So heißt auch ein Gedicht von mir. Und für selbiges kann man derzeit abstimmen beim Hildesheimer Lyrikwettbewerb 2009. Auf http://www.forum-literatur.de/seiten/wett_voting_liste.php ist "wechselnde wohnsitze" in einer (zugegeben enorm großen) Vorauswahl von Gedichten enthalten. Die Gedichte mit den meisten Stimmen werden dann später auf Plakaten im öffentlichen Nahverkehr der Stadt und Region Hildesheim veröffentlicht.

Falls jemand nun gerade für mein Gedicht abstimmen möchte, findet er es hier. Zur Vermeidung von Mehrfachabstimmungen muss man sich vor der Stimmabgabe mit einer E-Mail-Adresse registrieren.

Freitag, 8. Mai 2009

Visuelles von Fritz Huber


Eine schöne Sache ist der gerade frisch im Arovell Verlag erschienene visuelle Lyrikband von Fritz Huber. "Ein Affe im Schlaraffenlande" nennt er sich und ist untertitelt mit "erzählbilder & miniaturen".

Unter anderem gibt es darin ein ganzes Kapitel mit Berührungen, die zu konkreten Formen werden:


          die
         allee
       erlaubt
      be    rüh
    run      gen
   nur in ferner
  un           end
 lich           keit


Und auch sonst wird viel gespielt: mit dem richtigen Platz für Buchstaben und Wörter, mit der Mehrfachnutzung von Wortteilen, mit Sprachumgehung und einigem mehr.

An vielen Stellen des Buches muss man schmunzeln, ganz wie es dem Affen im Schlaraffenlande gebührt:


  |        /WURZE
  |      /     LBEH
  |    /         AND
  |  /           LUN
  |/                G


Dargestellt werden aber nicht nur Zahlenfriedhöfe, Knopflöcher und Reißverschlüsse, sondern auch weniger Gegenständliches, das man länger auf sich wirken lassen muss, weil es mehr Raum für eigene Interpretationen bietet.

Mein persönliches Lieblingskapitel ist allerdings eines der (im Vergleich) weniger visuellen, die "doppelgedichte" - weil ich Fritz Hubers Lyrik als solche schätze und die Bilder im Kopf mir dabei die liebsten sind:


auf gedeih


meine kassiber
mit geschlossenen
fallschirmen
über unbekannten
abwerfen


& verderb


um sprungtüchern
verschränkter arme
in die hände zu fallen
die mich entschlüsseln


Fritz Huber selbst sagt zu dem Buch, er habe sich in Schreibseminaren und Wettbewerben mit Gebieten der Poesie beschäftigt, die vernachlässigt würden. Aufgrund dieser Anlässe sei ein Grundstock an Arbeiten entstanden, der weiter ausgebaut wurde. So entstanden die "erzählbilder & miniaturen".

Bezüglich einiger Kapitel spricht er bespielsweise von "Synergie" oder vom "sparsamen Umgang mit Ressourcen".

Synergieeffekte in der Lyrik durch visuelle Darstellungen sind natürlich nichts Neues, aber sie werden dennoch nicht allzu häufig genutzt. Vielleicht, weil es so viele unflexible Liebhaber des reinen Wortes gibt wie mich? Oder weil es einfach schwierig ist, Wort und Optik dergestalt zu vereinigen und der Affe im Schlaraffenlande damit ganz schön viel zu tun hat? Trotzdem können solche Synergieeffekte, wenn man sie zu nutzen weiß, immer wieder neue Türen öffnen. Das wird auch an vielen Stellen dieses Buches offensichtlich.

Der "sparsame Umgang mit Ressourcen" ist natürlich auch sehr reizvoll. Mit etwas sparsam umzugehen, von dem es endlos viel gibt, erscheint ja zunächst reichlich überflüssig. Warum eine Lücke in einem Wort lassen, indem man Silben oder Wortteile eines anderen Wortes auch für das zweite Wort mitbenutzt, in dem sie benötigt werden? Warum diese Sparsamkeit, wo man die Wortteile doch problemlos mehrmals aufs Papier bemühen könnte? Vielleicht heißt die Antwort: um aufmerksamer zu werden. Um etwas an einem Wort wiederzuentdecken, was man zum letzten Mal in der Grundschule bestaunt hat: der AFFE im SCHLAR AFFE NLANDE. Das Staunen wieder erlernen. Das Offensichtliche wieder sehen lernen.

Ich meine, dass man für dieses Buch mehr Fantasie braucht als für einen "normalen" Lyrikband. Wer viel Fantasie hat und sich ihr gerne hingibt, dem kann ich den neuen Band von Fritz Huber nur ans Herz legen.


Ein Affe im Schlaraffenlande. erzählbilder & miniaturen
Arovell Verlag, Gosau (Österreich), Mai 2009
ca. 145 S., ISBN 978-3-902547-74-3, Preis 12,90 Euro

© für die obigen Textauszüge: Arovell Verlag

Mittwoch, 29. April 2009

archivbild I


die räume stehen lautlos
wachsen tische in den boden
im teppichmeer versenken
schränke ihre hufe drüben
auf dem fenstersims die scharf
zackige innerei einer druse
im karton was man braucht
und was vielleicht gescheitelt
die köpfe der nelken laien
darsteller vor der premiere


© Horlemann Verlag, 2013

Freitag, 24. April 2009

Ungläubige zwischen Bibelsprüchen


Gerade habe ich die Belegexemplare des Verteilheftes "Für jeden neuen Tag" Nr. 38 aus meinem Briefkasten gefischt. Das ist eine von der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste herausgegebene Heftreihe mit Gedanken, Gedichten und Gebeten, die kostenlos an Urlauber und Kurgäste, aber auch in Krankenhäusern und Gefängnissen verteilt wird. Die Anfrage wegen der Abdruckgenehmigung für ein Gedicht aus meinem Lyrikband hatte mich sehr gefreut. Ist mal was anderes als die ewigen Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften, bei denen man sich zwangsläufig irgendwann fragt: Und wozu, wofür, warum...? Tja, das frage ich mich jedenfalls in letzter Zeit immer öfter.
Einsortiert wurde mein Gedicht übrigens unter den Zwischentitel "Gleichberechtigung". Dort steht auch Thomas Kling, ein Zitat aus dem 1. Buch Mose sowie Artikel 1 der Menschenrechtserklärung der UN.
Fazit: Eine Heftreihe, die vielleicht sinnvoller ist als manch andere. Und: Inmitten so vieler kluger Worte fühlt man sich ziemlich klein. Allerdings auch erstaunlich wohl - selbst als Ungläubige zwischen jeder Menge Bibelsprüchen.

Mittwoch, 22. April 2009

Das zweite Problem-Alter


In Apotheken gibt es für jedes Alter das richtige Pröbchen. Zuerst die einzeln verpackten Traubenzucker, denn Kinder mögen Traubenzucker. Als Jugendlichem gestehen einem die Apotheker dann keine Lust auf Traubenzucker mehr zu (die zweiten Zähne müssen länger halten als die ersten), statt dessen geht der Fokus auf die jugendliche Problemhaut. Hat man dieses Problem-Alter ein paar Jahre später hinter sich gebracht, werden die Pröbchen unspezifischer. Ab jetzt erhält man relativ wahllos relativ Zweckmäßiges wie beispielsweise Tempos (braucht jeder mal), Kugelschreiber (braucht auch jeder mal und lässt sich gut Werbung mit machen) oder Handcreme-Pröbchen für die kalten Wintertage. Lange geht das so, bis man es gar nicht mehr anders kennt.

[Männer können an dieser Stelle mit dem Weiterlesen aufhören, denn für sie geht es ewig mit Tempos und Handcreme weiter.]

Umso härter trifft es dann aber eines Tages die Frauen, wenn sich im großzügigen Vichy-Entdeckungs-Set neben Pröbchen von Körperlotion, Gesichtsreinigung für jeden Hauttyp und Creme-Make-Up mit Samt-Effekt ganz heimlich, still und leise auch ein Tübchen auffindet, bei dem das Kleingedruckte den Atem stocken lässt: Anti-Falten & Straffheits-Pflege. Nun ist es also soweit. Man hat den Zenit überschritten, erstmalig hat ein Fremder (die Apothekerin) die Spuren der Zeit gesichtet und einen ganz offiziell in das zweite Problem-Alter eingewiesen, das man nie wieder verlassen wird. So geschehen heute bei Frau K. aus HH, die allerdings freimütig zugibt, dass sie eh schon seit Jahren eine Q10-Straffungscreme für die Augenpartie verwendet. Frau K. aus HH lacht nämlich gern. Traubenzucker mag sie übrigens auch heute noch.

Sonntag, 19. April 2009

Roman - Miniauszug I


Auf dem Heimweg steuert Wolfgang schweigend den Wagen. Anke sieht gelegentlich zu ihm hinüber, um ihn aus der Reserve zu locken. Aber Wolfgang lässt sich nicht locken. Ich weiß nicht mal, wieso ich nichts sage, stellt er fest und versucht sich an einem Lächeln in Richtung seiner Frau, weil er glaubt, ihr zumindest das schuldig zu sein. Der Innenraum des Autos ist zunächst noch ebenso kalt wie anfangs die Hütte, aber wie diese wird auch das Autoinnere allmählich wärmer, mit jeder Straßenecke nistet sich die trockene Heizungsluft mehr und mehr ein. Wolfgang fühlt sich schon wieder schläfrig.
"Sssssss", macht Anke.
Das Geräusch entsteht, wenn sie die Luft durch geschlossene Zahnreihen in den Mund zieht. Sie macht immer Sssssss, wenn Wolfgang beim Autofahren in eine Situation gerät, die sie als kritisch einstuft. Wolfgang macht dieses Sssssss wahnsinnig, weil er nie weiß, was eigentlich los ist. Hinterher stellt sich meist heraus, dass es eine Situation war, die nur seine Frau als einigermaßen gefährlich eingeschätzt hat (Paradebeispiel: ein nach Ankes Dafürhalten zu nahes Vorbeifahren an einem anderen Auto), und wenn die Situation tatsächlich einmal etwas objektiv Gefährliches gehabt haben sollte, dann hätte ihm ihr Sssssss auch nichts genützt (was soll so ein Sssssss denn bitteschön helfen, wenn man zum Beispiel ungebremst auf einen Radfahrer zusteuert, ein Pass auf, der Radfahrer! oder etwas ähnliches wäre da doch wesentlich konstruktiver).
Dieses Mal folgt dem Sssssss jedoch, ganz untypisch, noch etwas anderes.
"Pass auf!", ruft Anke, brüllt es beinahe.
"Was denn?", schreit Wolfgang erschrocken zurück. Hat er einen auf die Fahrbahn zurollenden Kinderwagen übersehen? Ist er geblitzt worden? Sie könnte doch wenigstens sagen, was... Weil ihm Ankes Reaktion zu lange dauert, entscheidet er sich in Sekundenbruchteilen für eine Vollbremsung. Hinter ihm kommt ein weiterer Wagen quietschend zum Stehen.

- aus einem aktuellen Romanprojekt -

Freitag, 17. April 2009

Gedicht von Bess Dreyer


Heute bin ich über ein Gedicht von Bess Dreyer gestolpert und weich gelandet.

Wem dieses Gedicht gefällt, dem kann ich auch ihren Lyrikband "parallele orte" empfehlen, der 2007 im Auslesen-Verlag erschienen ist. Hier meine Rezension zum Buch.

Donnerstag, 16. April 2009

vorhin


in der luft nur dieser lärm noch immer
ohne begleitgeräusch wie ein stempelkissen
mit zu viel oder zu wenig farbe der abdruck
deiner fingerkuppen unter werbetafeln
an geländern moccatassen fremder haut

Dienstag, 14. April 2009

Anfang einer neuen Story


Das ist ein Spiel, sagt der Junge. Er stößt mit dem Schuh in die staubige Erde, die Erde ist gelb. Ich habe gewettet, fährt er fort, deine Schwester ist die letzte Schlampe, treibt es fürn Fuffi mit jedem. Er sagt wirklich: fürn Fuffi.
Ich habe geträumt: ihn umbringen. Zuerst wollte ich eine To-do-Liste schreiben, erstens Brot kaufen, zweitens Zahnarzt anrufen, drittens Den Feind töten. So oder so ähnlich. Dann erschien es mir doch zu melodramatisch. Ich will nicht sein wie mein Vater, reden und am Ende nichts tun. Ich übe jeden Tag im Wald mit leeren Coladosen.
[...]

Samstag, 11. April 2009

Warten auf Gelb


Haben wir noch nicht. Der Satz bezieht sich derzeit gern auf Gelbes. Genauer: Auf die neue Bionade Quitte. Erinnert manche vielleicht an die Quittenmarmelade von Oma. Bei mir ist das über zwanzig Jahre her. Ich mochte sie nie, die Quittenmarmelade. Weil sie so viele Fäden zog, gelbe Obstfasern in gelbem Glibber, und mit dem Geschmack war es auch nicht weit her. Aber die Farbe zumindest war schön. So wie die Farbe der neuen Bionade - jedenfalls auf den Werbeplakaten. Da wird man ganz gelb vor Neid auf jeden, der sie schon hatte. Ich hatte sie noch nicht. Haben wir noch nicht. Nicht im Kulturhaus Eppendorf und nicht im großen Supermarkt. Laut www.bionade-quitte.de steht sie seit dem 2. März zur Lieferung an Handel und Gastronomie bereit.
Die Quittenbionade hat übrigens die Melitta Up & Awake -Kaffeepads abgelöst. Die hatte man auch lange nicht. Inzwischen gibt es sie überall. Nur, geschmeckt haben sie mir nicht. Am Ende kehre ich doch immer reumütig zu Aldi zurück. Da ist bei den Getränken nur der O-Saft gelb, und auch sonst weiß man, was man kriegt.

Notiz zum Karsamstag


ein rätsel: dieser typ, linkshänder
oder fluchtfahrzeugfahrer. heute
noch brot kaufen, den geruch
der haare des gegenübers
vergessen.