Mittwoch, 30. Mai 2012

Tag #28


Morgen geht es zurück nach Hause. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge, und ohne Angst vor dem Flug. Beängstigend ist doch eher der Zustand nach dem Fliegen.

flugangst

die träume vom ertrinken endeten mit dem
erwachsenwerden; enge räume, die sich mit
wasser füllten. ich kannte den grund, ich wäre
einmal fast ertrunken, vergaß irgendwann,
ob im erinnern oder im traum. dann begann
das fliegen, unter zimmerdecken zunächst,
schließlich draußen, das immergleiche gefühl
im moment des aufwachens; eine ahnung,
das herz verloren zu haben an etwas so viel
größeres. an die landungen erinnere ich mich
nicht, nur an plötzlich einsetzenden schwindel
und die schwerkraft, die mich unendlich tief
in die matratze zieht beim öffnen der augen.


© Horlemann Verlag, 2013

Dienstag, 29. Mai 2012

Tag #27


gedichte, die nicht geschrieben wurden

heute möchte ich raum geben: der libelle, die sich
in das blau des pools verliebt hat und es stundenlang
überfliegt. dem lachen des einzigen mallorquiners,
den ich lachen gesehen habe. dem tiefsten summen
eines insekts, das ich im leben hören werde. jener
grenze, an der das grün der bäume sich ins blaue färbt
unter den wellenlängen des lichts. den olivenbäumen,
die sich unter keinen umständen aufgeben. dem haus,
das am wegrand klebt, weiß und zu verkaufen wie
so vieles. dem frühstücksblick auf die berge und den
schatten der wolken, die über die gipfel ziehen. allem,
was ich hier vermisst habe, ohne vorher zu wissen,
dass ich es vermissen würde. dem, was mich morgens
viel zu lange schlafen ließ, weil es geträumt werden
wollte, um in einem neuen tag verstanden zu sein.

Montag, 28. Mai 2012

Tag #26




ringsum nichts als welt

in diesem leben beult sich mein gesicht nach links
bis ich es nicht mehr erkenne die haut spannt sich
wie die saiten einer gitarre lange wird es nicht
gelingen meine hände sichtbar zu machen ich bin
alles andere als niedergeschrieben in meinem kopf
habe ich worte wie korn auf den feldern wie blut
in der geschichte ich habe schmerzen für zehn
verwundete soldaten vor meinen augen liegen die
bilder in der schräge ab dem morgengrauen bin ich
zwischen allen stimmen die eine die noch schweigt

Sonntag, 27. Mai 2012

Tag #25


Jetzt schon länger als jeder gängige Adventskalender. Kaum zu glauben.

sin

wie häufig man ein wort benutzt, merkt man erst
in fremder sprache, vermutlich sollte es besser
ein anderes wort als ohne sein, mehrmals pro tag
verwende ich es, um mich zu definieren, meinen
bedarf auszuloten, beim einkaufen will ich ohne
dies und jenes, im restaurant muss man mich ohne
zufriedenstellen können, ohne alles am liebsten,
wie oft man ein wort benutzt, ohne zu sagen, was
man möchte, die wünsche hinter die nicht-wünsche
zurückstellt, wann bin ich bloß zu diesem ohne
geworden, das mich derart schlüssig beschreibt,
dass ich mich selbst vergessen konnte, allmählich
verlernt habe, wer ich ohne diese beiden silben bin.

Samstag, 26. Mai 2012

Tag #24


fornalutx / mann unter baum sitzend

am besten findet man zum friedhof das schönste dorf der insel hat sich
aus dem staub gemacht se vende an den alten restaurants ein paar
wenige haben es noch nicht gemerkt und sich in positur geworfen
mit kameras die nur spärlich motive finden aus der not heraus
setz dich mal dorthin ein baum mit einer bank drumherum ist passabel
fürs familienalbum und wenn du mal lächeln würdest könnten wir
den enkeln was erzählen etwas wie wir sind dort gewesen wo man
gewesen sein muss
es gibt stufen auf denen man sich problemlos
den hals brechen könnte aber die schöne aussicht macht es wieder wett

Freitag, 25. Mai 2012

Tag #23


Auf andere kann man sich selten verlassen. Gelegentlich nicht einmal auf sich selbst. Bleiben noch die Naturgesetze. Oder?

diskussionsgrundlage

die stunden sind etwas in sich selbst verschobenes
ohne feste kontur, das fehlen der rituale verändert den tag
und schließt sich in den schatten vor dem bergkamm,
die gegen abend emporwachsen, sich an felsvorsprüngen
verdächtig machen; es kommt vor, dass ich mit ihnen
streiten möchte, ihre gesetze anzweifle und selbst noch
vor dem einschlafen argumentiere, wenn längst dunkelheit
herrscht; auch an ihr möchte ich etwas verändern, jede
unstimmigkeit, die sich gegen meinen traum erhebt.

Donnerstag, 24. Mai 2012

Tag #22




[...] wo liegen die erklärten begrenzungen
unserer träume wenn die nacht nicht lang genug ist
für die angst nicht lang genug um zu vergessen
was man liebt wofür man den atem aufsparen
möchte wie eine allerletzte grenze zur welt

Mittwoch, 23. Mai 2012

Tag #21


inbesitznahme

ich kenne die farbe ihres lippenstiftes, der sich
an den gläsern hält, vor allem an den grünen,
bestätigt von einem foto, auf dem ich ihn
wiederzuerkennen glaube. daneben jede menge
missverständnisse und die nichtbenutzung
der töpfe und pfannen aus vielerlei gründen,
davon der beste: ich möchte keine fotografie
auf meiner kamera, die etwas so profanes wie
den inhalt einer küchenschublade zeigt. ein leben
in fremden räumen, die einer vorgegebenen
ordnung folgen, während ich die struktur von
einem tag zum anderen trage, immer vertrauter
mit ihren spuren, bis sie zu den meinen werden.

Dienstag, 22. Mai 2012

Tag #20


memo, sonstiges

habe wieder angefangen, geröstete sojakerne zu essen,
eine angewohnheit, die ich mir abtrainiert hatte vor mehr
als zehn jahren. hasse fotografieren noch genauso wie
früher, habe jedoch aufgehört, mich zu verstellen. gebe
seltener vor, jmd. zu sein, der ich nicht bin. (?) kann jetzt
besser zielen als noch vor ein paar wochen, ursache
unbekannt. habe mir vorgenommen, die alten tagebücher
zu vernichten, sobald ich zu hause bin, und den nachbarn
als arschloch zu beschimpfen, wenn er wieder lügen
über mich verbreitet. werde von nun an lieber selbst
gerüchte über mich streuen, vorzugsweise solche, die
außer mir (!) niemanden interessieren. sollte diesen blog
regelmäßig fortführen, werde es aber nicht tun. 1. juni:
sofort nach dem büro losgehen und sojakerne kaufen. (!!!)

Montag, 21. Mai 2012

Tag #19


Gewitter, Hagel sowie ein Wind, der durch alle Ritzen der Finca schießt, inspirieren mich nicht sonderlich. Man sehe es mir nach, dass ich ohne direkte Sonneneinstrahlung nur auf Sparflamme schreibe.

beheizbare schlafräume

in meinen fingerspitzen die taubheit beim anschlag
der tasten, rinnsale finden durch fenster und türen
trotz geschlossener läden, hier ist ein blitz so hell
wie der tag und die hagelkörner so groß wie etwas,
das man essen würde, wenn es keinen thunfisch
enthielte. ich kann froh sein, es in dieses jahrhundert
geschafft zu haben, mit genug kortison im gepäck
und der möglichkeit einer heimkehr in beheizbare
schlafräume. hier muss ich enden, die finger sind
nicht länger ein teil von mir, es ist mir nicht möglich
zu schreiben, ohne all meine wärme abzugeben,
die ressourcen zu verbrauchen bis nichts mehr bleibt.

Sonntag, 20. Mai 2012

Tag #18




märchen aus aller welt

trage ein gespenst in den rippenbögen diesen
albtraum der längst festgeschrieben ist
mit dunkel sich auflädt oder kälte
darin sind wir einander gleich
bis ins aufwachen bis
in den schweiß


© Horlemann Verlag, 2013

Samstag, 19. Mai 2012

Tag #17


Ich habe meine Vorliebe für mallorquinischen Kräuterlikör entdeckt. Zum erstmaligen Konsum wurde ich selbstverständlich angestiftet. So ist das ja meist mit Lastern, die man erst im Alter von 34 Jahren entwickelt.

in mir eine pflanze

die vegetation will mich täuschen, hier ist der mittelpunkt
einer wüste, ein feiner roter staub, der meine hände färbt
beim schreiben. ich steuere dagegen mit grünem schnaps,
esse herabgefallenes von sträuchern und bäumen, in mir
wächst schleichend eine pflanze heran, von der kein arzt
wissen will. mithin erzähle ich von gefälligen dingen, so
beschreibe ich die krankheit, ohne sie zu nennen. ich lüge
selbst dann, wenn ich vorgebe, die unwahrheit zu sagen,
das kommt von meiner pflanze, die ein johannisbrotbaum
werden könnte, der mir aus dem magen bis in den rachen
emporwächst oder vorerst unbemerkt zwischen den zehen
hervorsprießt wie ein übelriechender pilz, über den man
sich ausschweigt. regelmäßig inspiziere ich nun sämtliche
gefährdeten teile meines körpers und befreie sie vom roten
staub, unter dem das wachstum nach außen beginnen wird.


© Horlemann Verlag, 2013

Freitag, 18. Mai 2012

Tag #16


Kloster Lluc, 11 Uhr: Der Knabenchor singt. In aller Regel.
Finca Can Romani, 11 Uhr: Ich beim Frühstück. Aber egal, wie sich später herausstellte, weil...

>> heute singt der knabenchor nicht <<

zuviel silencio und alle hinweise ohne begründung
nur nichts hinterfragen immerhin hat der parkplatz
eine begabung zum geldverdienen jedes ave maria
wird sich flugs die schwarze madonna einverleiben
ich bin eine touristin flüstere ich in ihr dunkles ohr
die nicht an dich glaubt das ist abgegolten mit den
vier euro auf dem plarkplatz ganze 500 meter über
dem meeresspiegel wo sogar nutten stehen könnten
ohne aufzufallen ich weiß warum ein kloster mich
nicht haben will sage ich zur madonna beim gehen
und kenne mindestens drei tote verwandte die mich
verstoßen würden wenn sie nicht im himmel wären

Donnerstag, 17. Mai 2012

Tag #15


taktung

ich habe einen sonnenbrand, den nur ich
sehen kann, einen rotstich über den zähnen,
du würdest mich nicht erkennen ohne meine
streunenden katzen, die ich täglich mit mir
herumtrage. wenn es stürmisch wird zum
abend hin, lasse ich die fliegen ins haus,
die fensterläden schlagen in unbekanntem
takt, nebenan schritte aus einem material,
das mir niemand beibrachte. es kann nicht
lange dauern, bis das obst ausgeht wie alles
andere, die vögel am morgen meinen schlaf
nicht mehr unterbrechen. die fensterbänke
verbreitern sich über nacht, sie wachsen
bis zum fußende meines bettes, ich kann sie
nicht mehr umgehen, ohne mich zu stoßen.


© Horlemann Verlag, 2013

Tag #14




[...]
nichts ähnelt uns noch auf dem weg
ins niemandsland mit anvisiertem ziel

unter den wellen unseres atems liegen
alle irrtümer eines behaupteten anfangs

Dienstag, 15. Mai 2012

Tag #13


was ich niemals sagen würde

wovon ich geträumt habe, wenn du neben mir lagst. dass ich deinen
schlaf beobachtet und die worte gedacht habe, die du nicht von mir
hören wolltest. dass ich mitgezählt habe, wie oft ich nach nebenan ging,
um an diesen worten nicht zu ersticken. wem ich von uns erzählen
wollte. und so viel später, als alles anders war: wie oft ich mittags
vor diesem gebäude stand und hoffte, du würdest nur ein einziges mal
zu früh herauskommen, mir in die arme laufen. wie oft ein tag zu ende
geht, ohne dass ich deine nummer aus dem telefon lösche. dass ich nie
aufgehört habe zu hoffen, selbst jetzt nicht, wo alles, was in meinem
gedicht begann, in deinem song enden musste, selbst morgen nicht,
von dem ich noch nicht wissen kann und von dem ich dennoch ahne,
wie es stattfinden wird: als wiederholung von heute und gestern und
immer mit deinem namen im kopf. dass ich meinen körper gegen
die härtesten wände werfe, solange es niemand sieht, niemand,
der wissen dürfte, dass ich mein eigenes blut betrachte, tiefer mit
jeder stunde, und mich frage, warum es seine farbe nicht verändert,
warum es niemals zur neige geht, wo doch alles andere an seine
grenzen stößt, selbst der tod, um den ich vor dem einschlafen bitte,
wenn andere leute die hände zum gebet falten: ich glaube nicht
an einen gott, ich glaube nur an alles, was man verlieren kann, und
dass jeder überlebte tag ohne dich ein scheitern bedeutet. wie jedes
geräusch sich verzerrt, wenn du nicht in meiner nähe bist. dass ich
meinen ipod zu hause gelassen habe, weil ich keine musik mehr höre,
seit es dich nicht mehr gibt. dass ich mir jeden tag wünsche, dich
nie kennengelernt zu haben und es jeden tag aufs neue zurücknehme.
wem ich noch immer von uns erzähle. dass ich mir vorstelle, wie unsere
gemeinsamen kinder ausgesehen hätten. dass ich dialoge entwerfe und
dich antworten geben lasse, die mich zum lächeln bringen. welche orte
ich aufsuche, wenn ich dich vermisse. wie ich mich bemühe zu atmen.

Montag, 14. Mai 2012

Tag #12


aus dem gleichgewicht geratene spinnen

an solchen tagen fehlen mir die worte, und alles
bringt mich zurück an einen ort, den ich nur in
meinen träumen erkenne. es gibt eine sprache,
die ich beherrsche, doch jene dinge, auf die ich
vertrauen konnte, zählen nicht. aus dem mund
strömt das geräusch verirrter insekten, ich werde
innerhalb von sekunden erwachsen, verändere
die art, wie ich meinen kopf neige. manchmal
lausche ich nach den spinnen, die ihr netz weben,
sie werden hörbar, wenn man lang genug wartet.

- Für Bess -


© Horlemann Verlag, 2013

Sonntag, 13. Mai 2012

Tag #11




els calderers

die touristen kommen nicht erst am ende, in allen zimmern
hat jemand gelebt, in einem ist der frieden spürbar. nichts
ist ohne funktion, so wird berichtet, die gebrochenen hände
auf den tasten des klaviers führen sicher zu granaten und wein.
ein wechsel der jahreszeiten wäre denkbar, temperaturgefälle
zwischen den welten, aber satt wurde man schon immer und
noch heute geht man auf zwei beinen nach draußen. dort
mischen sich paarhufer unter zaungäste und anderes getier,
die busse mit laufendem motor warten auf geheime zeichen.


© Horlemann Verlag, 2013

Samstag, 12. Mai 2012

Tag #10


Mein bevorzugter Arbeitsplatz im Garten ist an keinem dafür vorgesehenen Ort. Ich schreibe drei Meter über einem Weg, auf vier kleinen Füßchen, hinter einem lockigen Vorhang.

windrichtung

um den kopf schreiben die fliegen geschichte
mit strähnen im gesicht und fern der augenpaare
aller nachbarn die erfunden wurden an diesem
klapptisch das bellen der hunde einer bestimmung
zuzuführen ein denken in verkehrter richtung
mit der windhose am steiß und einer gewöhnung
durch das haar hindurch zu schreiben so etwas
lässt sich nicht wieder umkehren zu hause werden
fön und ventilator im rücken aufzustellen sein

Freitag, 11. Mai 2012

Tag #9


alle tage

die löffel haben andere rundungen, passen nicht
in meinen mund. aber die pflanzen gewöhnlicher
als erwartet. ich kann nicht mehr ohne die glocken
der schafe. heute auch tagsüber der mond zu groß
am himmel: das stimmt so nicht, an jeder ecke
denke ich das. mir wachsen büsche aus den ohren
wie heu, der übergang von knorpel zu knochen
wird spürbar. auf der terrasse nun täglich ein toter
spatz, die aussterbenden arten setzen sich fort
in den gärten. was gäbe ich um das ausschwitzen
der lähmenden gifte, die in mir ihre kreise ziehen.


© Horlemann Verlag, 2013

Donnerstag, 10. Mai 2012

Tag #8


Im Garten steht ein merkwürdiges Gewächs, an dem rote Klobürsten wachsen. Jedenfalls erscheinen sie mir als solche. Für G. sind es Flaschenbürsten. (Was sagt das über mich aus, außer dass ich noch nie eine Flaschenbürste benutzt habe?)
Nun gut, ich habe soeben nach diesem Baum gegoogelt, und er heißt tatsächlich "Flaschenbürstenbaum". Also will ich heute mal albern sein.

ode an die bürste

dein bürstenschnitt aus der haushaltswarenabteilung
die heutige neueröffnung von lidl kann ausgelassen
werden auf dem berg ohne die sieben zwerge deine
kratzbürstigkeit in hundertfacher ausführung zwingt
den gärtner in die knie und rot ist mehr als eine farbe
wenn man dich gesehen hat will man keine anderen
pflanzen mehr neben sich haben und lidl erweitert
das sortiment um tomatenmarmelade und gala royal



Mittwoch, 9. Mai 2012

Tag #7


Ich bin froh, dass ich heute in Sineu den Tiermarkt nicht gesehen habe.
Und das Fohlen, das G. vor einigen Tagen unten am Weg in einer Koppel gesichtet hat, ist verschwunden. Vielleicht ist es im Stall. Auf jeden Fall aber ist es, als wäre es nie da gewesen.

hirngespinst

ich habe das neugeborene fohlen nicht gesehen, kann
kaum noch an seine existenz glauben neben dem müll
in den tonnen am straßenrand, dort kann man sich nie
verlaufen, immer nur stoppschilder überfahren, jedes
mal aufs neue, wenn man wollte, könnte man beinahe
alles an falsche orte bringen, ich stelle mein bett ganz
lautlos in den pool, wenn niemand hinsieht, und trage
den sekretär bis ans ende des grundstücks, das fohlen
wird in meinem schlafzimmer leben und sicher meine
letzten galletas fressen, an einem mittwoch werde ich
an meinem hunger sterben, es wird nicht weh tun, nur
so sein wie ein tritt auf einen kleinen stein mit bloßen
füßen, dieses ziehen aus der tiefe bis unter den spann

Dienstag, 8. Mai 2012

Tag #6




[...] aber die linse hält: den schmalen
meerstreifen vor der sandbank, sich abzeichnend
wie der arm jenes flusses, den man als kind
durchschwamm und dessen bild man heute abruft
als langfristig abgespeicherten rückblick, der in
verfälschten proportionen die erinnerung durchfließt

Montag, 7. Mai 2012

Tag #5


zeitfenster

kein gegenstand der mir heute nicht
unter den händen zu etwas anderem wird
wie luftmassen gestapelt im tag oder
stille die sich sammelt in einem zeitfenster
und durch die haut nach innen wächst
ein kalter dorn bei 25 grad kein wort
das heute nicht an meinen lippen fremdelt
wie du mir fehlst würde ich sagen wenn
du greifbar wärst und stell mir vor wie
dein erinnern jetzt an meinen zeilen hängt
während du denkst sie ist nicht hier doch
kehrt vielleicht als eine andere zurück


© Horlemann Verlag, 2013

Sonntag, 6. Mai 2012

Tag #4


Heute ist ein Regentag. Aber das macht nichts, denn gestern habe ich in Can Picafort meine Lieblingsschokolade gefunden, die ich in Hamburg schon seit Jahren nicht mehr bekommen habe. "Mint Intense" von Lindt.

malen nach zahlen

die akkurat geschnittenen gewächse an öffentlichen
plätzen verfolgen mich bis in den tiefsten schlaf

meine ordnung ist nicht genug für diesen teil
der welt und selbst der regen hat einen plan

ich verliere die orientierung in manchen
atempausen
wo der rote faden einfach verloren geht

jemand hätte mir von den stimmen der vögel
erzählen müssen und von den fremden farben

und dass die landschaft zerbricht unter den masten
der telegrafen die jeden punkt mit anderen verbinden

© Horlemann Verlag, 2013


Samstag, 5. Mai 2012

Tag #3


Der Hahn hört heute nicht mehr auf zu krähen. Vielleicht möchte er gerne das Meer sehen. Oder irgendeinen anderen Ort, an den er nicht gelangen kann.

eingewöhnung

die armbanduhr ans messer liefern so könnte
selbst die hand noch schlafen wenn der tag
zu ende geht ein totes ding auf brust auf hüfte
oder bauch der wegweiser in den sturm es gibt

ein morgen doch die vorräte unter der zunge
sind aufgebraucht fast alles ist wieder denkbar
wenn die minuten fehlen die stunden an der
sonne bemessen werden es kann geschehen

in den schatten der wolken dass dieser berg
ausgegraut wird an stellen die allem anderen
unzugänglich sind selbst der beschreibung
wie sehr es schmerzt sie niemals zu erreichen


© Horlemann Verlag, 2013

Freitag, 4. Mai 2012

Tag #2


Sa Pobla hat eine Kirche. Wir haben sie allerdings nicht gefunden. Macht aber nichts, denn es gibt ja noch das Rathaus, das wie eine Kirche aussieht.

stadt ohne kirche

seit heute kann ich meinen augen nicht mehr
trauen. das haus mit dem wind an jeder ecke
fasst mich im nacken, wo der reiseführer keine
empfehlung macht. dort siegt der baumpilz
über den löwenzahn, das essen steht nicht
auf der karte, die tropfsteine kommen zu spät
oder bleiben eine illusion. wer könnte mir nun
glaubhaft versichern, dass ich hier war, es gibt
keine beweise, nicht mal indizien, kein bild eines
lächelns auf der kamera mit passendem datum.


© Horlemann Verlag, 2013

Donnerstag, 3. Mai 2012

Tag #1


Die erste Nacht in einem neuen Bett wird überschätzt. Man schläft schlecht, und dabei ist es ganz egal, wie toll das Bett ist oder wie grandios die Umgebung. Die erste Nacht in einem neuen Bett ist schräg. Selbst wenn das Bett gerade ist, scheint es immerzu zu kippen.

orte an denen man aufwacht

orte an denen man aufwacht
in der nacht wenn man sich nicht
erinnert wo das bett zu ende ist
oder wie ein regen sich anhört

orte an denen der schlaf reift
zu dem was du bist und deine
zunge im mund dir fremder wird
als jede einzelne deiner lügen


© Horlemann Verlag, 2013