Donnerstag, 18. Februar 2010

Hollywoodschaukel


Wenn ihr ungefähr so alt seid wie ich, dann hattet ihr bestimmt auch so ein Teil oder kanntet jedenfalls jemanden, der eins hatte... ;-)



Die Hollywoodschaukel im Garten meiner Großmama hat viele Erinnerungen bei mir hinterlassen. Ich kann mich an den Geruch der sonnenerhitzten Polster erinnern und an das hartnäckige Quietschen beim Schaukeln. Am liebsten saß ich allein darin. Oder besser: ich lag und versuchte, im Liegen zu schaukeln, was mir nie so recht gelingen wollte (und was von meinen Eltern gar nicht gern gesehen wurde, weil die Schaukel nicht sonderlich standfest war). Wenn ich heute an die Hollywoodschaukel denke, ist auch alles andere wieder da. Die Erdbeeren, das Johannisbeergelee, der Rhabarberkuchen mit dem Baiserschaum. Die Minze, die so wunderbar gerochen hat, wenn man sie zwischen den Fingern zerrieb. Das Gefühl der Brennesseln an den Beinen. Und der Nachbarshund, mit dem ich am Zaun entlang immer Wettrennen gemacht habe. Manchmal saß ich im Gartenhäuschen und habe mir vorgestellt, dort zu wohnen, ganz allein, und von dem Obst im Garten zu leben. Die Steinplatten auf der Terrasse waren in der Sonne glühend heiß unter den Füßen, man durfte nicht stehen bleiben, man musste immer weiter. Und überall liefen diese winzigen roten Milben herum. Ich habe ganze Nachmittage damit verbracht, Insekten aus dem Wasser zu retten. Warum wollte ich eigentlich nie Bademeisterin werden?

Anlass für meine Gedanken über dieses farbenfrohe Familienfoto ist übrigens die Literaturzeitschrift "Kritische Ausgabe", die in ihrem nächsten Heft mit dem Thema "Familie" möglichst keine normalen Autorenfotos haben will, sondern Fotos, auf denen die Autoren zusammen mit dem abgebildet sind, was sie als ihre Familie ansehen (können auch Freunde oder Stofftiere sein, hieß es). Ich besitze leider kein aktuelles Familienfoto, und meine Stofftiere sind schon vor langer Zeit dem Entsorgungsdrang meiner Mutter zum Opfer gefallen, also musste ich fototechnisch zurückgehen in eine Zeit, in der ich noch nicht so fotoscheu war wie heute. Und wie's ausschaut, wird in der nächsten Kritischen Ausgabe dann Klein-Myriam in der Hollywoodschaukel auftauchen, neben Großpapa, Mama und Großmama. Das Foto hat der Papa gemacht.

Ich finde es schade, dass die Hollywoodschaukel später im Rahmen eines Umzugs entsorgt wurde. Kann man sich vorstellen, dass ich seit meiner Zeit in diesem Garten keine Glühwürmchen mehr gesehen habe? Gibt es überhaupt noch Glühwürmchen? Gibt es noch Hollywoodschaukeln? Meine Haare sind jedenfalls nicht mehr so hell wie damals. Dafür ist die Nase viel größer. Die Hände hingegen sind fast genauso klein geblieben - weshalb ich die kleinsten Papierschiffchen der Klasse falten konnte, einige Jahre später allerdings das Gitarrespielen nach einem einigermaßen langen Versuch wieder aufgegeben habe, da so mancher Akkord nicht greifbar war. Um vor ein paar Monaten beim Orthopäden eine Bandage für mein Handgelenk zu bekommen, musste die Sprechstundenhilfe in den Keller gehen: "Größe 1 haben wir hier oben nicht, das braucht sonst kein Mensch."

Ich habe kürzlich versucht, ein Papierschiffchen zu falten und konnte es nicht mehr. Es sollte gar kein besonders kleines sein, ich wollte einfach nur mal wieder ein Schiffchen falten. Aber ich wusste nicht mehr, wie es geht. Bis zum Hut kam ich noch, und das war’s dann. Dieser Moment hat sich angefühlt, als wäre irgend etwas falsch gelaufen zwischen damals und heute, als wäre ein sehr elementarer Teil von mir verschwunden. Einfach weg. Wie die Glühwürmchen und der Baiserschaum und ein Teil der Personen auf dem Foto.

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